Der Ritterstand

Der Ritterstand wurde unter dem Prinzipat neu gestaltet. Gegenüber der relativ homogenen Großgrundbesitzer- und Dienstadelsschicht der 600 Senatoren war seine Zusammensetzung wesentlich vielfältiger, seine Interessenlage breit gespannt. Der zahlenmäßige Umfang des Ritterstandes ist in der neueren Forschung sehr umstritten. Die Schätzungen bewegen sich für die Zeit des Augustus zwischen 10.000 und 20.000 Rittern im gesamten Imperium, wobei noch mit einer beträchtlichen Zunahme der Gesamtzahl in den folgenden Jahrzehnten gerechnet wird. Doch noch wichtiger sind zwei andere Zahlen. So ist aus der systematischen Auswertung der Inschriften bekannt, daß es um die Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. insgesamt rund 55o ritterliche Offiziersstellen gab und daß gleichzeitig etwa 110 Prokuratorenstellen, Leitungsposten in den verschiedenen Sparten der Zivil-, Finanz- und Steuerverwaltung, ebenfalls von Rittern besetzt waren. Daraus ergeben sich zwei bedeutsame Folgerungen: I. Von den über 20.000 römischen Rittern war stets nur ein Bruchteil langfristig in der Reichsverwaltung tätig. 2. Der Anteil der Ritter in der Administration des Imperiums war um ein Mehrfaches größer als derjenige der Senatoren.

Die Ernennung zum Ritter erfolgte in jedem Falle individuell durch den princeps. Voraussetzungen waren die Zugehörigkeit zu einer Familie, die seit mindestens zwei Generationen freie Geburt nachweisen konnte sowie ein Mindestvermögen von 400.000 Sesterzen. Die Söhne von Rittern. rückten zwar nicht automatisch in den Stand des Vaters ein, doch war dies meistens der Fall. Die Verklammerung des Ritterstandes mit dem Senatorenstand blieb eng. Nicht wenige Angehörige ritterlicher Familien sind unter dem Principat in den Senat aufgestiegen. Andererseits gab es sehr enge Beziehungen zum Stand der Dekurionen, zur Municipalaristokratie. Nicht selten gehörten römische Ritter als die angesehensten Mitglieder und Patrone in den Provinzen den Stadträten an, in denen sie dann Seite an Seite mit den Dekurionen fungierten.

Die ritterlichen Laufbahnen des Reichsdienstes setzten meist mit einem längeren Offiziersdienst ein, der im Gegensatz zu den Senatoren vor allem auch Kommandeurstellen bei den römischen Hilfstruppenteilen umfaßte und somit auch in kleineren Garnisonen und Grenzkastellen abzuleisten war. Daran schloß sich dann die zivile Laufbahn als procurator an. Der junge Ritter konnte sich in einer Fülle von Leitungsposten der Finanz-, Zoll-, Steuer- und der allgemeinen Verwaltung profilieren. Er konnte zum Beispiel die Verwaltung im Ressort der Erbschaftssteuer mehrerer Provinzen leiten, die gesamte Steuerverwaltung in einer Provinz oder Spitzenfunktionen bei den Kassen der Principatsverwaltung übernehmen. Ähnlich den modernen Besoldungsstufen waren auch die Posten der ritterlichen Laufbahnen verschiedenen Gehaltsgruppen von)e 60.000, 100.000, 200.000, gegen Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. für die Spitzenpositionen sogar 300.000 Sesterzen zugeordnet. Diese Einkommensstufen wurden titular geführt: der einzelne Ritter gehörte zuerst zu den sexagenarii, er stieg dann zu den centenarii, ducenarii oder trecenarii auf.

Darüber hinaus waren die Ritter, wie die Senatoren, durch Statussymbole und demonstrative äußerliche Ehrenrechte abgehoben. Eine Gruppe von ihnen wurde vom princeps noch immer mit dem Staatspferd, dem equus publicus, ausgezeichnet; unter Augustus sollen sich an der alljährlichen Reiterparade des 15- Juli noch immer 5000 Ritter beteiligt haben. Daneben waren die Ritter durch den schmalen Purpurstreifen an der Tunica, einen goldenen Ring, eine spezielle Paradeuniform und durch Ehrensitze im Theater privilegiert.

Gerade bei den Rittern bestimmte das Vertrauen des princeps in besonderer Weise den Verlauf und die Dimensionen einer Karriere. jeder ritterliche cursus konnte selbstverständlich im Gestrüpp der Verwaltungsstränge enden, er konnte aber auch, bei entsprechender Bewährung, insbesondere im engeren Rahmen der Hausverwaltung des princeps, bis zu Spitzenpositionen führen, die Kompetenzen, Macht, Autorität und Einfluß auch der höchsten senatorischen Ämter bei weitem übertrafen. Dazu zählen vor allem die stets von Rittern besetzten Posten des praefectus Classis, eines Flottenbefehlshabers, des praefectus vigilum, des Befehlshabers der Sicherheitspolizei in Rom, des praefectus annonae, des verantwortlichen Leiters der gesamten Lebensmittelbeschaffung und Versorgung der Hauptstadt, des praefectus Aegypti, dessen Stellung geradezu als die eines Vizekönigs von Ägypten bezeichnet worden ist, und schließlich des praefectus praetorio, des Gardepräfekten. Namen wie die des Sejan und Burrus markieren jene Schlüsselstellungen, die Ritter in dieser Position einnahmen.

Dabei ist insbesondere die Laufbahn des Burrus charakteristisch für die Art und Weise, wie es zu einem solchen Aufstieg kam. Aus einer Inschrift, welche die Einwohner von Vasio (Valson-la-Romaine in der Provence) Burrus als ihrem Patron gewidmet haben (CIL. XII 5 842), geht hervor, daß Burrus nach seinem Militärtribunat nacheinander im Haushalt der Livia, des Tiberius und des Claudius Dienste als procurator tat, bis er dann schließlich in die Stelle des Praetorianerpräfekten aufrückte und damit in eine Position, in welcher er zunächst faktisch, neben Agrippina und Seneca, die Regentschaft für Nero führte. Obwohl Burrus seiner Standeszugehörigkeit nach nur Ritter war, war er damit einer der beiden einflussreichsten Männer des Staates geworden, eine Tatsache, die auch dadurch bestätigt wird, daß ihm damals die höchstmögliche gesellschaftliche Rangauszeichnung überhaupt, nämlich die ornamenta consularia, verliehen wurden, eine Auszeichnung, welche Burrus in die konsulare Spitzenstufe der Gesellschaft eingliederte, obwohl er weder eine senatorische Laufbahn absolviert noch das Konsulat bekleidet hatte.

Im Ritterstand kam die soziale Mobilität innerhalb des Imperiums stets besonders deutlich zum Ausdruck. Von Augustus an wurden sowohl qualifizierte Freigelassene, die in der besonderen Gunst der principes standen, in den Ritterstand erhoben als auch jüngere Aristokraten aus den Provinzen, die Truppenkontingente befehligten. Arminius ist zur bekanntesten Erscheinung dieser Gruppe geworden. Insbesondere im militärischen Bereich gab es zudem eine realistische Chance, nach längerer Bewährung als Centurio schließlich auch in den Ritterstand aufzusteigen. Doch so vielfältig die Karrieren der römischen Ritter im Heer und in der Reichsverwaltung waren, insgesamt gesehen stellt die Gruppe der Ritter im Reichsdienst lediglich einen Bruchteil des ganzen Standes dar. Die überwiegende Mehrzahl der Ritter bestand aus mittleren und großen Grundbesitzern, erfolgreichen Geschäftsleuten der mannigfaltigsten Sparten, Bankiers, Fernhändlern, Männern, die auf die verschiedenartigste Weise zu ihrem oft beträchtlichen Vermögen gekommen waren. In ihren Reihen vor allem waren die Kenntnisse und Erfahrungen wirtschaftlicher Organisation konzentriert, und so ist es nicht ohne Konsequenz, daß gerade dieser Stand während des großen inneren Formierungsprozesses des Principats in systematischer Weise in das neue politische System integriert wurde. Im übrigen haben auch die Ritter kleinere Priesterämter wie das eines haruspex (die für Leberschau und Vorzeichendeutung zuständige Priesterschaft) oder lupercus (ursprünglich die Priesterschaft der Wolfsabwehrer", später für Tieropfer und Reinigungszeremonien zuständig) bekleidet.

Vgl. Karl Christ, Die Römer. München 1994. S. 76 ff.