Über
Religion und Kult der Römer und des römischen Reiches ist man
durch zahlreiche literarische Quellen einigermaßen gut unterrichtet.
Es ist jedoch zu bedenken, daß die antiken Quellen hauptsächlich
von der damaligen gebildeten Elite stammen und nicht unbedingt die Gedankender
der Masse, also des kleinen Mannes bzw. die Volksfrömmigkeit wiederspiegeln.
Ebensowenig hat eine antike Zusammenfassung zum Thema Religion existiert.
Zudem ist Religionsbetrachtung immer durch das jeweilig geltende religiöse
Weltbild geprägt und verzerrt.
Eine Kurzbeschreibung der römischen Religion kann nur wenige charakteristische
Aspekte herausgreifen. Götter hatten sie viele. Dogmatisch wie das
Christentum war die römische Religion sicher nicht; ein Römer
durfte über seine Götter denken, was er wollte. Wichtig hingegen
war der Vollzug der Kulthandlungen. Was sich uns heue als römische
Religion darbietet, ist ein Zusammenspiel verschiedener, altitalischer,
etruskischer und griechischer Vorstellungen.
Besser geläufig ist uns heutzutage die römische "Toleranz"
gegenüber den religösen Vorstellungen der von ihnen unterworfenen
Völker und der Übernahme und interpretatio romana der
jeweiligen Götter. Als Religion ohne Dogma war diese kaum mit anderen
Glaubensvorstellungen in Widerspruch zu bringen. Aus politischen Gründen
war jedoch später die Übernahme besonders des staatstragenden
Kaiserkultes für die unterworfenen Gebiete zwingend vorgeschrieben.
So ist es zu erklären, daß auf Exklusivität pochende Religionen
wie das Judentum und später das Christentum bei den Römern auf
heftige Ablehnug stießen. Jedoch erst als das Christentum zu einer
Massenbewegung geworden war, setzten Unduldsamkeit und Verfolgung ein.
Eine eigenständige Mythologie kannte die römische Religion nicht,
eine Trennung zwischen in grauer Vorzeit angesiedelten Göttern und
der römischen Gegenwart hat für sie nie gegeben. Für die
Römer waren die Götter allgegenwärtig und für die
Natur, das Funktionieren der Gemeinschaft und sogar für die alltäglichen
Dinge des Lebens wie etwa das Öffnen und Schließen einer Tür
verantwortlich. Überdies betrachteten die Römer das Verhältnis
zwischen Göttern und Menschen als Vertrag - die Religion sollte das
Einvernehmen mit den Göttern, die pax deorum, sichern. Die
Einhaltung von Kult und Norm verpflichtete die Götter ebenso wie
Opfer, Gelübde und Gebet, ihrerseits über das wohl der Gemeinschaft
zu achten. Der römische Grundsatz des do ut des ist hier zu
erkennen.
Allen Dingen und Erscheinungen wurde eine bindende, verpflichtende Kraft
zugeschrieben. Diesem magischem Denken blieb die römische Religion
grundsätzlich verhaftet. Sie erschöpft sich in strengster, ängstlicher
Einhaltung des Kultes. Die geringste Abweichung vom überkommenen
Ritus galt als Herausforderung göttlichen Zornes. So erklärt
sich die überaus bestimmende Rolle von Kulten und Riten in der römischen
Religion.
Zudem sahen die Römer das Festhalten an den überlieferten Riten
als Garant für die römische Macht. Noch ihre letztenVertreter
sahen im Untergang ihrer religiösen Vorstellungen zugleich das Ende
römischer Macht.
Wohl in die Anfänge römischer Religionsvorstellungen dürfte
der Begriff des numen weisen, obwohl er erst in augusteischer Zeit
eine Gottheit bezeichnet. Numen bezeichnet generell alles, in dem
übernatürliches Handeln und Wirken erkennbar wird. Manchmal
ist das Wirken übernatürlicher Kräfte an bestimmten Orten
wie Steine, Quellen und Bäume konzentriert und ist weniger an eine
personale Gottheit als in göttlichem Tun allgemein gebunden. In der
Frühzeit scheint die Ausübung religiöser Handlungen dem
Familienoberhaupt obligen zu sein, wie noch später ausgeübte
familiäre Riten bezeugen. In der römischen Religion hatten überdies
Familienkulte eine außerordentliche Bedeutung. Viele römische
Staatsfeste und Kulte waren in gewisser Weise familiäre Kulte, lediglich
auf eine größere Gemeinschaft umgelegt. Jeder wichtige Teil
eines Haushaltes hatte seinen Geist, so wohnte der Geist des Feuers, Vesta
im Herd; von der Hauptmahlzeit wurde ihr jeden Tag geopfert. Die Penaten
waren die Hüter der Vorratskammern; die eigentlichen Hausgeister,
die Laren, wurden in täglichem Gebet und Opfergabe verehrt; sie galten
auch als Ahnengeister der Familie.
Einen bestimmenden Einfluß auf die römische Religion übten
die Etrusker aus. Die römische Religion übernahm von ihnen die
anthropomorphe Vorstellung von Göttern und Göttinnen in Verbindung
mit Kultbild undTempelbau: Der erste Tempel Roms auf dem Kapitol war von
etruskischem Typ, der etruskischen Trias Tinia, Uni und Menvra (röm.
Jupiter,Juno und Minerva) geweiht. Die etruskischen Vorstellungen waren
jedoch rasch verdrängt: Iupiter Optimus Maximus als staatstragende
Gottheit nahm bald ihren Platz ein. Ob etruskische Jenseitsvorstellungen
übernommen worden sind, ist nicht eindeutig festzustellen. Die ausgefeilten
etruskischen Techniken zur Deutung von Vorzeichen (Prodigien) wie Vogelflug
und Blitzschau wurden dagegen gänzlich in die römische Religion
übernommen.
Doe römische Götterwelt war ebenso wie die etruskische stark
griechisch überprägt. Erste griechische Einflüße
kamen über die Etrusker nach Rom, direkte wurden über die griechischen
Kolonien Italiens vermittelt. Beispielsweise erreichte der Dioskurenkult
nach der Überlieferung schon im 5. Jahrhundert Rom; der Kult des
Dionysos oder Bacchus erfaßte im frühen 2. Jahrhundert ganz
Italien. Diese Bacchusfeiern führten zu Auslassungen und Ausschweifungen.
Dies ging dem Senat zuweit. Mehr aus Gründen der Staatsbeleidigung
denn aus religiösen wurden solche Kultfeiern erheblich eingeschränkt.
Zu dieser Zeit kamen in Rom auch erste orientalische Kulte wie der der
Magna Mater, auf.
Nationale Krisen wie die Kriege gegen Hannibal oder später die Bürgerkriege
führten zur Entwurzelung weiter Teile der mittleren und unteren Bevölkerungskreise,besonders
der Bauernschaft. Es war dann diese entstehende plebs urbana, bei
der diverse Religionströmungen wie Astrologie, chaldäische Lehren
und anderes mehr aus dem hellenistischen Osten Einzug hielten. Die entwurzelten
und wenig zu erwarten habenden Massen suchten Trost und Befreiung in mystischen
Lehren, exstatischen Erfahrungen und mehr oder minder geheimen Offenbarungsreliogionen.
Das erreichte solche Ausmaße, daß die Staatsreligion gefährdet
war. In der späten Republik verfielen die Tempel und Priesterämter
blieben unbesetzt.
Unter Augustus erfolgte eine Restauration der römischen Religion.
Kulte wurden wieder eingeführt, Tempel restauriert und wieder eröffnet.
Dahinter stand auch eine staatstragende Idee, mit der die Einführung
des Kaiserkultes einherging. Augustus selbst ging dabei vorsichtig vor,
das abschreckende Ende Caesars durch Mord vor Augen. Sein ganzes Leben
lang vermied er, seine eigene Vergöttlichung durchzusetzten. Er weihte
Caesar einen Tempel und legitimierte sich selbst als sein Nachfolger,
indem er sich divi filius, "Sohn des Vergöttlichten"
und Augustus, "Erhabener" nannte. Aus Staatsräson und infolge
des Bedürfnisses der breiten Masse nach einem neuem Selbstverständis
förderte er die Kulte des numen augusti und genius augusti,
die von den nachfolgenden Kaiser adaptiert wurden. Mehr als in Rom fanden
die neuen Kaiserkulte - die göttliche Verehrung der Kaiser nach ihrem
Tode - in den Provinzen Anklang.
Die Kaiserkulte standen ebenso im Dienst des Staatspoltik wie der Versuch,
einen einzigen Reichsgott - sol invictus - einzuführen. Die
breite Masse der Bevölkerung suchte eher ihr Heil in den aus dem
Osten kommenden Mysterien - und Erlösungsreligionen wie Mithraskult
oder Christentum, von denen letzteres dann die Oberhand behielt.
Weiterführende
Literatur (Auswahl):
Altheim,
F., 1938: A History of Roman Religion.
Bailey, C., 1932: Phases in the Religion of Ancient Rome.
Dumezíl, G., 1965: Archaic Roman Religion.
Latte, K., Römische Religionsgeschichte.
Ogilvie, R. M., 1969: The Romans and their Gods.
Ogilvie, R. M., 1984: ...und Bauten die Tempel wieder auf. Die Römer
und ihre Götter im Zeitalter des Augustus.
Pfiffig, A. J., 1975: Religio Etrusca.
Radke, G., 1949: Die Götter Altitaliens.
Scullard, H. H., 1985: Römische Feste. Kalender und Kult.
Warde Fowler, W. 1889: The Roman Festivals. W.
A.
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