Bernstein hatte als seltenes Material einen
relativ hohen Anteil am Fernhandel zwischen den Provinzen des Römbäen
Reiches und dem Barbaricum. Diese Tatsache belegen schriftliche Quellen
und archäologische Forschungen. So berichtet unter anderen Tacitus über
das in Samland wohnende Estia‑Volk: Ipsis
in nullo usu: rude legitur, infore perfertur, pretiumque mirantes accipiunt
[Die Einheimischen wissen nichts damit anzufangen; im rohen Zustande
sammeln sie ihn, unbearbeitet bringen sie ihn zu uns und staunend nehmen
sie die Bezahlung an] "5116 . Die beschriebene Situation bezieht
sich auf die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts. Danach hätte Bernstein
in der germanischen,Kultur dieser Zeit keine große Bedeutung gehabt"'.
Die archäologischen Quellen zeigen, daß römische Importe, als Indikator
der Tauschbeziehungen, in den südöstlichen Östseeraum (besonders nach
Samland) erst mit dem Beginn der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts
aufkommen. Sie fehlen in Fundkomplexen der Phasen A3‑131, sind
aber in solchen der Phase B2‑188 (Ende Blc/Anfang B2a) häufig
vertreten. Diese Situation wird als Ausdruck der vorübergehenden Isolation
dieser Gebiete in der frühen römischen Kaiserzeit interpretiert589.
Bernstein gelangte vermutlich zunächst durch Austausch von Gastgeschenken
in den römischen Kulturbereich590. Eine dahingehende Bemerkung läßt
sich ebenfalls bei Tacitus finden, der schrieb: "nec
quae natura quaeue ratio gigant, ut barbaris, quaesitum compertumue;
diu quin etiam inter cetera eiectamenta maris iacebat, donec luxuria
nostra dedit nomen [Was er ist oder wie er entsteht, haben sie nach
Barbarenart nicht untersucht oder in Erfahrung gebracht; ja er lag sogar
lange Zeit unbeachtet unter den übrigen Auswürfen des Meeres, bis ihm
unsere Prunksucht Wert verlieh] «591
Im Falle
der Przeworsk‑Kultur war die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts
von besonderem Interesse, weil es sich um eine Periode des Umbruchs
handelte. Von den aus dem Gebiet der Przeworsk‑Kultur bekannten
260 Körpergräbern enthielten 29 Gräber Bernstein; nur eines dieser Gräber
datiert in die Phase Bi (Gpki, Wo). Bydgoszcz, Grab 2). Aus spätrömischer
Zeit kennen wir von dort unter 15 sehr reich ausgestatteten Gräbern
nur fünf mit Bernsteinbeigaben. Dabei ist nochmals auf das Problem des
in der Przeworsk‑Kultur domi92
nierenden Ritus der
Brandbestattung hinzuweisen . Von den im Gebiet der Przeworsk
Kultur entdeckten elf Bernsteinwerkstätten
und Bearbeitungsplätzen stammt die Mehrzahl der besser datierten aus
der spätrömischen Kaiserzeit. Diese Beobachtung bestätigt sich bei anderen
Siedlungsfunden. Der Untergang der keltischen Oppida in Böhmen und Mähren
führte zu einer kurzen Unterbrechung der alten
Handelswege von Norden nach Süden (über die Sudetenpässe), durch die
Bernstein unter Vermittlung der Kelten nach Mittel‑ und Südeuropa
gelangt war.
Ehe seit der zweiten Hälfte
des 1. Jahrhunderts ansteigende Nachfrage nach Bernstein im Römischen
Reich und der bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts 113 anhaltende Zufluß
dieses Materials führte zur Herausbildung von Handelswegen, die die
römischen Donauprovinzen, besonders Noricum und Pannonien, mit der
bernsteinreichen Ostseeküste verbanden. Damit war eine direkte Verbindung
zu den Bevölkerungen der Wielbark‑Kultur (Kaschubische Seenplatte,
Bucht von Gdarisk) und des sog. westbaltischen Kulturkreises gegeben,
hauptsächlich der Bogaczew‑Kultur (C)hztyn‑Seenplane) und
der Samland‑Kultur (Halbinsel Samland) In diese Zeit (Phase B2a)
datieren zahlreiche römische Importe Samlands, die über die Hälfte aller Importe aus dem westbaltischen Kreis
ausmachen
Mit den intensiveren Außenkontakten
veränderten sich auch die Gesellschaftsstrukturen der Völker des mitteleuropäischen
Barbaricums'9'. Dies zeigen die zahlreichen (römischen) Importe aus
den Gräberfeldern und Siedlungen dieses Gebiets. Auf dem Gebiet des
heutigen Polen enthielt statistisch gesehen jedes fünfte Grab des 1.
und 2. Jahrhunderts Gegenstände aus dem Gebiet des Römischen Reiches
, darunter große Mengen römischen Geldes, Luxuserzeugnisse (bronzene,
silberne, gläserne Gefäße, Terra Sigillata) und römische Waffen
Die Krise des 3. Jahrhunderts im Römischen Reich hatte Einfluß
auf die Beziehungen zu den Völkern des mitteleuropäischen Barbaricums'01.
Die relativ große Zahl frührömischer Silbermünzen in spätrömischen Komplexen
und der Zufluß von spätrömisehen Bronze‑ und Silbermünzen im
3.‑4. Jahrhundert` läßt vermuten, daß dem Außenund Binnenaustausch
innerhalb des Barbaricums ein Münzumlauf zugrunde lag. Eine ähnliche
Situation belegen im Frühmittelalter Handelskontakte zwischen arabischen
Händlern und slawischen Bevölkerungsgruppen.
Aus der spätrömischen Zeit
(Phase C2) stammen sehr reich ausgestattete "Fürstengräber",
aus denen hauptsächlich importierte Luxusgegenstände und Beigaben von
überregionalem Charakter zutage kamen. Man begann, den Toten Bernsteinerzeugnisse
beizugeben. in der Regel handelte es sich um Objekte von hoher Qualität
hinsichtlich Herstellung und Rohstoff. Sie zeichnen sich außerdem durch
eine große Formen‑ und Funktionsvielfalt aus (Perlen, Anhänger
verschiedener Art, Elemente anderer Gegenstände, z. B. Kästchendeckel
aus Bernstein oder Bernstein als Verzierung an einer goldenen Fibel).
Wie erwähnt, trat Bernstein nur in den spätrömischen Gräbern der 15
aus dem Gebiet der Przeworsk‑Kultur bekannten "Fürstengräber"
auf. Bis zu dieser Zeit wann Bernstehobiehe relativ sehen in Gräber
beigegeben worden. Als Ausnahme ist z. B. Grab 8 aus Haßleben zu nennen,
das zum Horizont der "Fürstengräber" Haßleben‑Leuna‑Zakrzöw
gehört. Das Fehlen von Bernstein
in Bestattungen, außer in "Fürstengräbern", weist lediglich
auf einen im archäologischen Material nicht faßbaren Unterschied in
den Begräbnissitten verschiedener Kulturgruppen hin.
Die hohe Wertschätzung von
Bernstein veranschaulicht eine in Klein Köris (Brandenburg) entdeckte
Goldschmiedewerkstatt603 . Neben Fragmenten von vergoldetem Silberblech
mit den für spätrömische Waffen und Schmuck typischen Verzierungen wurde
auch eine kleine Menge Rohbernsteins gefunden, was darauf hinweist,
daß manche Goldschmiede Bernstein verwendet haben.
Den Wert von Bernstein zeigt
auch der Depotfund von Swilcza aus Gold‑ und Silberschmuck und
Münzen. Bernstein und Münzen treten vorwiegend in spätrömischen Fundkomplexen
zusammen auf.
Auf dem Gebiet der Przeworsk‑Kultur
stammen die meisten Bernsteinfunde aus Siedlungen vom Beginn der späten
Kaiserzeit bis zum Anfang der Völkerwanderungszeit. Bernsteinobjekte
und Rohmaterial befanden sich meist in mit der Herstellung, dem Tausch
oder der Handelstätigkeit verbundenen Befunden. Daß die spezifischen
Eigenschaften des Bernsteins in der Przeworsk‑Kultur bekannt
waren, beweist die differenzierte Auswahl und Bearbeitung sowie die
Hortung von Rohmaterial.
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