Forschungsmethoden in der Archäologie  
 

Im deutschsprachigen Raum sind heute die archäologischen Fächer relativ zersplittert und sehr unterschiedlich ausgerichtet. Die Klassische Archäologie ist oft eng an die Kunstgeschichte angelehnt, die vorderasiatische Archäologie an die Altorientalistik, während die Ur- und Frühgeschichte eher Berührungspunkte zu den Geowissenschaften hat. Aus dieser unterschiedlichen Ausrichtung der archäologischen Subdisziplinen ergeben sich zwangsläufig auch unterschiedliche forschungsmethodische Ansätze.

  • Die Klassische Archäologie, deren geographisch-zeitlicher Rahmen hauptsächlich die griechisch-römische Mittelmeerwelt (die Antike) ist, hat unter den archäologischen Disziplinen die älteste Geschichte, die bis in das späte 18. Jahrhundert zurückreicht (J. Winckelmann 1717–1768). Von daher stammt die bis heute vorhandene enge Beziehung der Klassischen Archäologie zur Kunstgeschichte (Stilentwicklung) sowie zur Altphilologie und Alten Geschichte. Dies erklärt auch die Stellung der Bildhauerei, der Vasen- und Wandmalerei als Forschungsschwerpunkte der Klassischen Archäologie. Allerdings ist es kaum möglich, eine Epoche, in der Kunst keinen zentralen gesellschaftlichen Wert hatte, mit den Maßstäben der Klassischen Archäologie zu erforschen.
  • Die Ur- und Frühgeschichte entwickelte sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als eigenständige Disziplin. Ein Meilenstein war die Entwicklung der typologischen Methode durch den Schweden Oskar Montelius (1903), der sie unter dem Einfluß der Darwin´schen Entwicklungstheorie konzipierte. Die Typologie ist ein Instrumentarium, um die in Europa typischen Grabfunde aus schriftlosen Zeiten in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen.
  • Einen besonders großen Einfluß übten die Arbeiten von G. Kossinna und seiner "siedlungsarchäologischen Methode" (1920) auf die Entwicklung der Ur- und Frühgeschichte aus: über Typen und deren Vergesellschaftungen wurden Kulturen, Kulturprovinzen und letztendlich Siedlungsräume von ethnischen Gruppen erschlossen (Kulturkreislehre). Diese Gleichsetzung von "archäologischer Kultur", Ethnie und Rasse führte vor allem während der nationalsozialistischen Herrschaft zur einer folgenschweren Verquickung der Ur- und Frühgeschichte mit faschistischer Ideologie und Politik, die in der Nachkriegszeit dazu führte, daß man das empirische Sammeln von Fakten und deren chronologisch-räumliche Ordnung zum wichtigsten Forschungsziel erklärte.
  • Eine relativ junge Disziplin ist die Provinzialrömische Archäologie, die deutlich historisch ausgerichtet ist und enge Kontakte zur römischen Numismatik und zur lateinischen Epigraphik pflegt. Ihr geographischer Arbeitsbereich deckt sich weitgehend mit dem der Klassischen Archäologie (antike Mittelmeerwelt bzw. Provinzen des Imperium Romanum).
  • Gegenwärtig kommen neue theoretische Impulse in erster Linie aus dem angloamerikanischen Bereich. Dazu gehört als einflußreichste Strömung die "prozessuale Archäologie", die sehr stark von der Kulturanthropologie geprägt wird. Einer der bedeutendsten Proponenten der "New Archaeology" ist Lewis Binford, der Kultur als eine spezifisch menschliche Anpassungsform an die natürliche Umgebung versteht. Dabei ist die Ökologie als äußerer Rahmen von großer Bedeutung für die "New Archaeology". Neue Analysemethoden wurden vor allem aus der Statistik übernommen. Als eine der wichtigsten Verdienste der New Archaeology, die sich besonders für Methoden und Quantifizierung interessiert, gilt die Problematisierung wissenschaftstheoretischer Argumentationsweisen.
  • Aus der Kritik an der New Archaeology entstanden mehrere eigenständige wissenschaftstheoretische Ausrichtungen, die man unter den Begriffen "postprozessuale Archäologie" (interpretive archaeology) zusammenfassen kann. In Frage gestellt werden besonders die positivistischen Grundlagen der "New Archaeology". Bei der "postprozessualen Archäologie", wie sie Ian Hodder versteht, stehen die kritische Interpretation kultureller Phänomene vor dem Hintergrund von spezifischen Kontexten im Mittelpunkt des Forschungsinteresses.

Ian Hodder, Reading the past

Ian Hodder´s "Reading the Past", einer der Bestseller der "postprozessualen Archäologie"
(I. Hodder, Reading the Past. Current approaches to interpretation in archaeology ²[Cambridge 1991]).

 

Grabungs- und Prospektionsmethoden

Zu den Aufgaben der Feldarchäologie ("praktischen Archäologie") gehören die Suche nach ergiebigen Fundplätzen, die systematische Ausgrabung sowie die Konservierung der Funde.

  • Oberflächenbegehungen (Surveys)

Seit Beginn der Feldarchäologie werden durch das systematische Absuchen von Fundarealen (Surveys) in großem Umfang neue Fundstellen entdeckt, während bekannte in ihrer Zeitstellung und Ausdehnung ohne größere technische Hilfsmittel erkundet werden können. Bei besonders günstigen Voraussetzungen ist die kontrollierte Oberflächensammlung ein wichtiger Ansatz zur Funktionsbestimmung von Siedlungsbereichen (Feststellung von Produktionsbereichen). Der Oberflächensurvey kann dabei mit relativ einfachen Mitteln zu Erkenntnissen über die ökonomische Struktur einer Siedlung (Fundverteilungsanalysen, Aktivitätszonen-Analyse) führen.

  • Luftbildarchäologie und Photogrammetrie

Die Flugprospektion (Luftbildarchäologie) gilt als kostengünstigste und effektivste Methode zum weiträumigen Aufspüren archäologischer Denkmäler in unverbautem Gelände. Die Luftbildarchäologie zeichnet oberirdische Auswirkungen von Störungen unter der Erdoberfläche auf, die frühere menschliche Aktivität verursacht hat. Bei der Dokumentation der aus der Luft sichtbaren Schatten-, Boden- und Bewuchsmerkmale kommt heute auch Falschfarben- und Infrarot-Fotografie zum Einsatz.

 

Luftbild Teurnia

Teurnia – St. Peter in Holz (Kärnten): Bewuchsmerkmale von römischen Gebäuden (Foto: S. Tichy).

Das Hauptanwendungsgebiet der Photogrammetrie ist das Karten- und Vermessungswesen, wo sie zur Herstellung von topographischen Karten und Plänen verwendet wird. Bei der Stereophotogrammetrie kann man mittels zweier Meßbilder ein Objekt räumlich betrachten und auch räumlich in einem dreidimensionalen Koordinatensystem ausmessen.

Relief Teurnia

Teurnia – St. Peter in Holz (Kärnten): gerenderte 3D-Ansicht des Holzer Berges (Foto: M. Doneus).

  • Geophysikalische Prospektion

Die geophysikalische Prospektion beruht auf der kleinräumigen Erfassung physikalischer Eigenschaften der Erde durch unterschiedliche Meßverfahren. Veränderungen oder Anomalien dieser physikalischen Eigenschaften im oberflächennahen Untergrund erlauben Rückschlüsse auf archäologische Strukturen. Voraussetzung für die Meßbarkeit ist ein Kontrast in den physikalischen Eigenschaften der archäologischen Struktur im Vergleich zum natürlichen Untergrund. Die Wahl der jeweils geeigneten Prospektionsmethode (Geomagnetik, Geoelektrik, Georadar, elektromagnetische Induktion) ist abhängig von der Problemstellung und kann zerstörungsfrei und rasch relevante archäologische Informationen erbringen.

  • Ausgrabungen

Die Ausgrabung ist ein wesentlicher Teil der archäologischen Arbeit. Wenn archäologische Prospektionsmethoden nicht ausreichen, werden planmäßig Sondagen, Suchschnitte und größere Flächen zur Klärung von Befund- und Fundverhältnissen angelegt. Als Vorbereitung einer ausgedehnteren Flächengrabung bieten Suchschnitte Informationen über die Ausdehnung von Fundstellen, ihren Schichtenaufbau, die Befunderhaltung und –dichte, die Fundmenge und ihre Erhaltungsbedingungen sowie die allgemeinen Bodenbedingungen. Bei einer modernen Grabung wird man immer versuchen, nach "natürlichen Schichten" vorzugehen: Im Normalfall liegen die ältesten Horizonte unten, die jüngsten oben. Daher werden diese Schichten (Straten), ihrem natürlichen Verlauf entsprechend, vom jüngsten zum Ältesten hin abgegraben. Dies hat den Vorteil, daß der Befundzusammenhang schon während der Ausgrabung sichtbar wird und darüber hinaus eine saubere Fundzuordnung erfolgt, die es ermöglicht, die bereits vor Ort ermittelte relative Chronologie absolutchronologisch festzumachen.

Virunum-Ausgrabung, 45 k

Virunum (Kärnten): Ausgrabungen 1999 im römischen Amphitheater. Zeichnerische Dokumentation der Befunde (Foto: Ch. Gugl).

  • Unterwasserarchäologie

Die Ziele von Unterwassergrabungen (Unterwasserarchäologie) sind feuchterhaltene Befunde in Seen, Flüssen und Meeren (in erster Linie Reste von Siedlungen, Brücken, Landestellen, Einbäumen oder Schiffwracks). Weil eine Unterwassergrabung unter erschwerten Bedingungen stattfindet (eingeschränkte Sichtverhältnisse, Auftrieb, physiologische Einwirkungen auf den Taucher), sind besondere Grabungseinrichtungen, an die äußeren Umstände angepaßte Dokumentationsmethoden und Schutzmaßnahmen notwendig. Für Unterwassergrabungen ist besonders qualifiziertes Personal erforderlich, denn der Unterwasserarchäologe muß versierter Ausgräber und geschulter Taucher in einer Person sein.

Unterwasserarchäologie,

Unterwasserarchäologe bei der Arbeit (J. Biel/D. Klonk, Handbuch der Grabungstechnik. [Stuttgart 1998] Kap. 16.14 Abb. 9)

 

Geisteswissenschaftliche Methoden

Über die rein denkmalpflegerischen Aspekte hinaus sollte das Ziel jeder archäologischen Grabung die wissenschaftliche Auswertung der Befunde und des Fundmaterials in Form von jedermann zugänglichen Publikationen sein.

  • Typologie

Typologien haben die Aufgabe, archäologisches Material so in Gruppen zu ordnen, daß es in weiterer Folge interpretiert werden kann. Die wichtigsten Ziele der Typologie sind eine raum-zeitliche Ordnung archäologischer Funde sowie die Analyse von Funktionsklassen. Typen sind in erster Linie dann von archäologischer Relevanz, wenn sie kulturelle Gegebenheiten widerspiegeln. Vor diesem Hintergrund werden Typologien als Resultat eines tradierten, weitgehend normierten Verhaltens vergangener Gesellschaften verstanden. Viele Typologien in der Archäologie sind allerdings rein praxisorientiert, indem sie ausschließlich zur Kategorisierung von Fundmaterial für Publikationen entwickelt werden.

Fibeln, 12 k

Typologische Ordnung römischer Fibeln aus Noricum (Foto: Ch. Gugl).

  • Kunstwissenschaftliche Methoden (Stil)

Stilbetrachtungen stellen einer der ältesten in der Archäologie entwickelten Methoden der Analyse dar. Unter dem Einfluß von kunsttheoretischen Schriften entwickelten sich zunächst Begriffe wie Zeitstil, Regionalstil und Individualstil eines bestimmten Künstlers. Dahinter steckt die Vorstellung, daß jede Zeit einen bestimmten Stil entwickelt. Als Prototyp für das Evolutionsschema von Kunststilen wurde die Entwicklung der griechischen Plastik angesehen. Während in der Klassischen Archäologie der Stilbegriff dieser kunsthistorischen Sichtweise verpflichtet ist, werden in der prähistorischen Archäologie stärker funktional ausgerichtete Ansätze einbezogen. So können beispielsweise die räumliche Verteilung von Stilmerkmalen der Keramik im Sinne von Grenzen "sozialer Identität" interpretiert werden.

 

Naturwissenschaftliche Methoden

  • Zooarchäologie/Ichtyoarchäologie/Osteologie

Tierische Überreste aus archäologischen Grabungen, die in der Regel sowohl von Haus- als auch von Wildtieren stammen, werden unter zoologischen und osteologischen Gesichtspunkten untersucht, um neue Einblicke in die wirtschaftlichen Gegebenheiten und das ökologische Umfeld des prähistorischen Menschen zu erhalten. Die metrische Auswertung gibt Auskunft über das Wissen der prähistorischen Menschen bezüglich Haushaltung und Tierzucht, über die Lebensräume der Tiere und letztlich über die ökologischen Verhältnisse. Die Untersuchung der Herstellungstechniken von Geräten, Werkzeugen und Schmuck aus tierischen Rohstoffen bringt Aufschluß über Fertigungstechniken und technische Innovationen. Knochenfunde als Reste von Kulthandlungen (Reste von Opfertieren) kommen vergleichsweise selten vor.

Katzenkopf

Graz (Steiermark): Katzenschädel aus einer Brunnenverfüllung des 17. Jahrhunderts n. Chr. (Foto: A. Galik).

  • Anthropologie

In vielen Fundkomplexen sind Reste menschlicher Bestattungen enthalten (Gräberfelder), die einer anthropologischen Untersuchung zugeführt werden. Dabei stehen zunächst Alters- und Geschlechtsdiagnose an ganzen Skelettpopulationen im Vordergrund, die Rückschlüsse über die Zusammensetzung einer in einem Gräberfeld bestatteten Bevölkerung erlauben. Von besonderer Bedeutung kann der Nachweis von Erkrankungen, Verletzungen und Hinweise auf deren Behandlungen sein.

Skelettgrab, 37 k

Teurnia – St. Peter in Holz (Kärnten): Skelettgrab des 6. Jahrhunderts n. Chr. (Foto: F. Glaser)

  • Archäobotanik

Bei der Archäobotanik geht es vor allem um Pflanzenreste aus archäologischen Sedimenten. Ihre sorgfältige Untersuchung gibt Aufschluß darüber, was die Bewohner von Siedlungen angebaut oder importiert bzw. was sie in ihrer Umgebung aufgesammelt haben. Auf Grundlage dieser Untersuchungen können nicht nur der Ackerbau, sondern auch die Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung rekonstruiert werden. Durch die Analyse von Holzresten aus archäologischen Schichten gewinnt man Erkenntnisse über die Zusammensetzung und Bewirtschaftungsweise der Wälder, über Werkstoffe und handwerkliche Tätigkeiten.

  • Archäometrie in der Keramikforschung

Zur Bestimmung der Tonmatrix und der Magerung werden petrographische Dünnschliffe angefertigt, die unter dem Binokular betrachtet werden. Die Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) ist eine physikalische Untersuchungsmethode, um quantitative Informationen über die chemische Zusammensetzung eines Objekts zu erhalten. Durch Vergleiche der Keramikproben mit untersuchten Tonvorkommen läßt sich das Herstellungsgebiet von Keramikgefäßen festmachen.

Dünnschliffe, 21 k

Teurnia – St. Peter in Holz (Kärnten): petrographische Dünnschliffe römischer Feinkeramik (Foto: R. Sauer).

  • Die wichtigsten naturwissenschaftlichen Methoden zur Altersbestimmung archäologischer Objekte sind:
  • C14-Datierung: Die Radiokarbondatierung (C14-Methode), die 1946 vom amerikanischen Chemiker W. F. Libby eingeführt wurde, erlaubt Altersbestimmungen bei anorganischen Stoffen wie Holz, Schilf und Knochen bis zu 50 000 Jahren. Das radioaktive Kohlenstoffisotop 14C, das in allen Lebewesen enthalten ist, zerfällt zwar allmählich im Organismus, wird aber bei Lebewesen immer wieder durch den Stoffwechsel ergänzt. Stirbt der Organismus ab, hört die 14C-Zufuhr auf. Durch die Messung der Strahlungsintensität läßt sich nun bestimmen, wieviel Zeit seit dem Absterben des Organismus vergangen ist.
  • Dendrochronologie: Die Dendrochronologie (Baumring-Chronologie) ist eine sichere Methode zur Datierung von Holz mit Hilfe der Jahresringe (Wachstumsringe). Klimaschwankungen rufen unterschiedliche Jahresringe hervor, sodaß sich über mehrere Jahre Muster ergeben, die für alle Bäume einer Baumart innerhalb eines Klimabereichs gleich sind. Durch Vergleich solcher Muster bei Bäumen, deren Wachstumszeiten sich überschneiden, ließen sich "Jahresringkalender" aufstellen.
  • Thermoluminiszenz: Die Thermoluminiszenzmethode beschränkt sich auf die Datierung von Keramik. In jeder Keramikmasse finden sich Spuren radioaktiven Materials, die im Laufe der Zeit durch Absorption von Alphateilchen die Struktur der Keramik verändern. Erhitzt man eine Keramikprobe auf etwa 500° C, werden die Alphateilchen wieder frei und zeigen dies durch kurzes Aufglühen der Probe (Wärmeleuchten oder Thermoluminiszenz) an. Aus der Menge des dabei ausgestrahlten Lichts kann man das Alter der Keramik bestimmen.