Für
die Freigelassenen gilt Ähnliches wie für die Ritter. Auch sie
sind vereinzelt und eben immer nur als Einzelpersonen zu größtem
Einfluss gelangt, doch nach den Höhepunkten ihrer Macht unter Claudius
und Nero geht ihre Bedeutung in den Spitzenstellungen der Reichsadministration
zurück. Als Gesamtheit sind sie korporativ gleichfalls niemals zu
einem geschlossenen politischen Machtfaktor geworden. Gerade bei dieser
Gruppe ist es besonders wichtig, ihre soziale und wirtschaftliche Stellung
exakt zu erfassen. Natürlich zählten zu ihr Männer vom
Typus eines Pallas oder Trimalchio, die in der Literatur so oft erwähnt
werden. (Pallas, unter Claudius Finanzminister', ein Mann, der es sich
leisten konnte, großmütig auf eine ihm vom Senat angebotene
Ehrengabe in Höhe von 15 Millionen Sesterzen zu verzichten, ein Mann,
der sogar die ornamenta eines Prätors erhielt; Trimalchio,
den Petron in seinem satirischen Roman unsterblich gemacht hat, der Typus
des in Besitz und Reichtum schwelgenden Emporkömmlings par excellence.)
Doch in beiden Fällen handelte es sich um provozierende, für
die gesamte Gruppe keineswegs repräsentative Ausnahmeerscheinungen.
Für die Gruppe tatsächlich repräsentativ sind die Zehntausende
qualifizierter Handwerker, zuverlässiger Bediensteter und unermüdlicher
Ladenbesitzer, die oft genug auch ihre ehemaligen freien Herren zu unterstützen
hatten.
Auch
für sie sind die Inschriften als Beleg ihrer Mentalität und
ihrer Qualifikationen wichtig, so wenn es zum Beispiel von einem freigelassenen
Silberschmied heißt: "Er sagte in seinem Leben niemandem ein böses
Wort und tat nichts ohne Willen seines Herrn, hatte immer viel Gold und
Silber bei sich und davon niemals etwas für sich begehrt. Er übertraf
alle in der Kunst der Silberarbeit." (ILS, 7695) Oder wenn ein freigelassener
Lehrer von sich sagt- "Ich habe gelebt, solange ich konnte, ohne Prozess,
Zank und Streit und ohne Schulden. Gegen meine Freunde war ich immer ehrlich,
an Vermögen arm, an Geist sehr reich." (ILS. 8436) Aus den Kreisen
solcher Männer sind schließlich auch jene erfolgreichen und
vermögenden Freigelassenen hervorgegangen, die sich dann häufig
für ihre Wohngemeinden stark engagiert haben, für die Städte,
in denen sie ihren Reichtum erwarben, oder auch für ihre Heimatorte,
jene Freigelassenen, die gelegentlich viele Tausende von Sesterzen stifteten,
mit den Dekurionen rivalisierten und manchmal auch mit den ornamenta
decurionalia ausgezeichnet wurden. Sie haben sich insbesondere in
den städtischen Formen des Kaiserkultes engagiert, im Rahmen der
Korporation der Augustales, in der oft drei Freigelassene und drei
Freie nebeneinander als Seviri gemeinsam fungierten und somit für
die Pflege eines Kultes verantwortlich waren. Dieser stellte zugleich
demonstrativ die politische Loyalität der betreffenden Stadtgemeinde
unter Beweis.
Der
Anteil der Freigelassenen an der Gesamtbevölkerung und gleichzeitig
auch der Anteil jener freien römischen Bürger, die einst freigelassen
worden waren, nahmen unter dem Principat beträchtlich zu. Wenn die
Schätzung von Peter Brunt richtig ist, daß es in Italien zur
Zeit des Augustus bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 7,5 Millionen
Einwohnern nicht weniger als etwa 3 Millionen Sklaven gab, so bedeutet
dies gleichzeitig, daß diese 3 Millionen Sklaven zu einem erheblichen
Teil potentielle Freigelassene waren, mit anderen Worten, daß Generation
um Generation Zehntausende neuer Freigelassener die Gesamtrelation zwischen
freigeborenen Bürgern, Freigelassenen und Sklaven veränderten.
Diesen Automatismus des Weges vom Sklaven über den Freigelassenen
zum freien Bürger kannten die griechischen Städte nicht.
Wenn
neuere Hypothesen bestätigt werden, daß ein städtischer
Sklave in der Regel damit rechnen konnte, im Alter zwischen 30 und 40
Jahren freigelassen zu werden, so trat damit allerdings häufig
zunächst nur eine primär personenrechtliche Modifikation seiner
Existenz ein, denn auch für den neuen Freigelassenen blieben zahlreiche
materielle und moralische Bindungen an die Familie des bisherigen Herrn
bestehen, während umgekehrt die Unterhaltsverpflichtung des bisherigen
Herrn gegenüber dem älteren Sklaven entfiel. Es muss mit Nachdruck
darauf hingewiesen werden, daß nicht jeder Freigelassene den nicht
selten sehr begrenzten wirtschaftlichen Wirkungsrahmen seines ehemaligen
Herrn überschritt, und daß nicht jedem der Sprung oder der
konsequente Aufstieg vom ehemaligen Sklaven zum reichen Kaufmann, Händler,
Kunsthandwerker oder Spezialisten gelang. Dennoch waren die Freigelassenen
die wirtschaftliche und soziale Aufsteigerschicht schlechthin. Denn im
Gegensatz zu den Angehörigen der Oberschicht und den freigeborenen
Bürgern lag für sie der einzige Weg zu sozialem Aufstieg in
ihrer beruflichen Qualifikation, in Fachkenntnissen, Fleiß, Geschicklichkeit,
Anpassung und Zuverlässigkeit. Eine ausgesprochene Sondergruppe stellen
in ihrem Rahmen, wie bereits gesagt, die Freigelassenen der familia
Caesaris dar, jene Frauen und Männer, die in der Haushaltsverwaltung
der principes tätig waren. In einzelnen Fällen müssen
sie während des i. Jahrhunderts n. Chr. zur aktiven Führungsschicht
des Imperiums gerechnet werden, gelegentlich sind sie selbst in
den Ritterstand aufgestiegen.
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