Stochastik
in der Schule


Gauss 3D

Band 16 (1996)
Heft 3

Gerhard König: Volksweisheiten irren? Sammlung von Vor- und Fehlurteilen
Rezension zu Walter Krämer und Götz Trenkler: Lexikon der populären Irrtümer
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1996

Sind Sie von solchen Aussagen überzeugt, wie "Raucher belasten die Krankenkassen", "Schokolade macht süchtig" oder "Fast-Food ist ungesund, zumindest ungesünder als ein Drei-Sterne-Menü"? Wenn Sie mit Ja antworten, dann sind Sie auch einigen der vielen Irrtümer aufgesessen, die uns immer wieder begegnen. So entlasten Raucher z.B. unser Sozialsystem um etliche Milliarden, da sie im Durchschnitt einige Jahre früher sterben als Nichtraucher. Und Fast Food enthält zwar gemessen an seinen Kalorien etwas zu viel Fett und zu wenig Ballaststoffe, dafür aber mehr Vitamine , Calcium und Eisen als andere wesentlich teurere Speisen, usw..

Diese und ähnliche Irrtümer und Vorurteile werden in einem neuen Buch der beiden Statistikprofessoren Walter Krämer und Götz Trenkler besprochen und richtig gestellt. Es ist das 356 Seiten dicke, Medizin, Sozialwissenschaften, Kulturgeschichte, Wirtschaft, Politik und Geschichte streifende Werk "Lexikon der populären Irrtümer". 500 Mißverständnisse, Vorurteile und Fehleinschätzungen wurden von den Autoren gesammelt und werden in diesem Lexikon unter Stichwörtern von Abendrot bis Zeppelin diskutiert und mit Begründungen korrigiert. Jede Aussage ist also mit Quellenangaben versehen, um Zweiflern die Möglichkeit zu geben, den Sachverhalt nachzuprüfen. Dabei hat W. Krämer als Mitherausgeber unserer Zeitschrift diese auch einige Male als Quelle angegeben (Sind AIDS-Tests für alle sinnvoll? Die sicherste Art des Reisens ist das Fliegen?).

Viele der in diesem Buch aufgeführten Irrtümer kennt der Leser sicherlich schon, etwa daß Kamele kein Wasser in ihren Höckern speichern, sondern Fett, oder daß Teflon keine Erfindung der Weltraumfahrt ist, sondern (was nicht allgemein bekannt ist) bereits 1938 als Polytetrafluorethylen erzeugt wurde. Viele andere sind aber interessante Neuigkeiten und verblüffende neue Erkenntnisse.

Davon auch einige Beispiele: Unsere Vorfahren, die Höhlenmenschen, hausten nicht in Höhlen; das Siegel "Made in Germany" war ursprünglich zur Kennzeichnung minderwertiger Produkte vorgesehen; der Bumerang ist keine Erfindung der Aborigines in Australien, sondern war auch im alten Ägypten bekannt; wer bei Asterix und Obelix den Geschichtsunterricht in spannenderer Form vermutet, wird darüber aufgeklärt, daß die Gallier weder Gürtel noch Zöpfe kannten, sondern Hosenträger trugen und sich das Haar mit Naßgel aus Kalkwasser einschmierten; den Inhalt angebrochener Ravioli - oder Würstchendosen umzufüllen bringt nichts, weil Lebensmittel in Plastik genau so schnell verderben wie in Blech.

Aber auch kapitale Böcke werden zitiert und klargestellt. Spinat gilt zum Beispiel als ganz besonders eisenhaltig. Falsch! Der Mythos vom reichlichen Eisen im Spinat entstand durch einen simplen Tippfehler: in einer der ersten Analysen wurde ein Komma versehentlich eine Stelle zu weit rechts gesetzt; damit war im Handumdrehen der Eisengehalt verzehnfacht. Obwohl dieser Fehler schon in den 30er Jahren bemerkt und berichtigt wurde, ist das Vorurteil vom Eisen im Spinat seit damals nicht mehr auszurotten.

Ein anderes Beispiel gefällig? Mieterschutz schützt den Mieter oder in der Bundesrepublik herrscht Wohnraummangel. Der beste Schutz des Mieters ist, wie die beiden Autoren belegen, ein großes Wohnungsangebot und dieses große Wohnungsangebot wird durch Mietkontrollen und Kündigungsschutzgesetze gleich zweifach ausgehebelt und behindert: Potentielle Wohnungen bleiben aus Mangel an Erträgen ungebaut und bereits fertige Wohnungen und Häuser werden aus Furcht vor Mietern, die man nicht mehr los wird, nicht vermietet. Außerdem rechnen die Autoren uns vor, daß sowohl in absoluten Zahlen als auch pro Kopf gerechnet der Wohnraum in Deutschland dramatisch zugenommen hat.

Auch die Mathematik, hauptsächlich Stochastik, ist mit Problemstellungen vertreten. So werden z.B. die Wahrscheinlichkeiten für zwei Mädchen in einer Familie unter bestimmten Fragestellungen diskutiert oder die Wahrscheinlichkeiten für einen Roulettegewinn, für zwei Blitze am gleichen Ort, für Gewinne in Glücksspielen, für Jungen- und Mädchengeburten, an Krebs zu sterben. Ausführlicher wird auf das Geburtstagsproblem sowie das Lottospielen eingegangen. Es wird z.B. gezeigt, daß wir doch etwas beim Lotto tun können. Wir können natürlich nichts an der geringen Gewinnwahrscheinlichkeit ändern, aber die Quoten haben wir als Spieler durchaus in der Hand. Denn indem wir populäre Tips vermeiden, können wir zwar die Gewinnwahrscheinlichkeit nicht erhöhen aber wir können den Gewinn verbessern, falls wir gewinnen. Und das hat für den erwarteten Gewinn den gleichen Effekt als würde die Gewinnwahrscheinlichkeit erhöht.

Es wird weiter erklärt, daß Korrelation nicht Kausalität bedeutet und daß die Lebenserwartung nach den Sterbetafeln uns nicht sagt, wie alt wir werden. Weil diese Zahlen nämlich "nachhinken", werden wir aufgrund besserer Medizin, Hygiene und Ernährung erfreulicherweise älter als die 73 bzw. 79 Jahre die das statistische Bundesamt uns glauben machen will. Ferner werden einige Aussagen aus der Geschichte über die arabischen Zahlen sowie über Archimedes, Galilei oder Ptolemäus korrigiert.

Einige weitere in diesem Buch beschriebenen Irrtümer sollen nur kursorisch aufgezählt werden!

Abendrot verheißt schönes Wetter. Hohe Cholesterinwerte im Blut sind zu bekämpfen. Der Davidstern ist ein altes jüdisches Symbol. Ehemänner leben länger. Die Preise im Gesundheitswesen explodieren. Hungersnöte entstehen durch ein Defizit an Nahrungsmitteln. Intellektuelle sind das moralische Gewissen einer Nation. Das dritte Jahrtausend beginnt um Mitternacht des letzten Tages 1999. Der Kaugummi kommt aus den USA. Mozart war ein armer Schlucker. Grün-Wähler sind besonders umweltbewußt. Präzise Zahlen garantieren Präzision. Schokolade macht süchtig. Eine hohe Staatsverschuldung schadet der Wirtschaft. Vor allem das Altern der Bevölkerung treibt die Kosten im Gesundheitswesen in die Höhe. Deutschland ist das Wirtschaftswunderland Europas.

Insgesamt ein vergnüglich zu lesendes Buch, aus dem man noch etwas lernen kann.

Gerhard König

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(FIZ) Karlsruhe
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Stochastik in der Schule 16(1996)3, 47-49