Stochastik
in der Schule


Gauss 3D

Band 15 (1995)
Heft 3

Gerhard König: Rezension von
'Gerhard Brüstle: Einführung in die Wahrscheinlichkeitsrechnung in der Klasse 10'
Landesinstitut für Erziehung und Unterricht (LEU), Stuttgart 1994

Nach dem neuen gymnasialen Bildungsplan von 1994 der Klassen 10 und 11 in Baden-Württemberg sind in Klasse 10 zuerst die grundlegenden Begriffe zu erarbeiten (hierbei wird auch von Glücksspielen die Rede sein) und schließlich in Klasse 11 dann als ein wichtiges Anwendungsgebiet das Testen von Hypothesen zu thematisieren. Denjenigen Kollegen dieses Bundeslandes, die im Studium und auch später mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht in Berührung gekommen sind, will dieses Heft eine erste fachliche Einführung bieten. Gleichzeitig werden auch Anregungen zur didaktischen Umsetzung gegeben. Dieses Heft bietet aber nicht nur den Kollegen in Baden-Württemberg seine Hilfe an, sondern ist auch für alle Lehrer, die Wahrscheinlichkeitsrechnung in der Sekundarstufe I zu unterrichten haben, interessant. Es werden alle wichtigen Themen behandelt und - was wichtig, ist - mit interessanten Anwendungen verbunden

Begonnen wird mit zwei Problem-Klassikern, welche nach Meinung des Autors auch als Unterrichtseinstieg dienen können:

Nun genauer zum Inhalt: Die behandelte Thematik wird aufgeteilt in die vier Kapitel 1. Zufallsexperiment, Ereignis, der Begriff Wahrscheinlichkeit, 2. Berechnung von Wahrscheinlichkeiten mit der Pfadregel, 3. Kombinatorik, und 4. Verknüpfungssätze und Unabhängigkeit.

Im ersten Kapitel werden nach der Klärung des Begriffs Zufallsexperiment (mit Beispielen aus Münzwerfen und Kartenspielen) der klassische, empirische und axiomatische Wahrscheinlichkeitsbegriff diskutiert. Eine vierte Möglichkeit, Wahrscheinlichkeiten zu bestimmen, ist durch Simulationen gegeben. Der Autor bietet dazu ein in Pascal geschriebenes Programm an mit folgenden Schüleraktivitäten:

Im zweiten Kapitel werden Wahrscheinlichkeiten mit der Pfadregel berechnet. Die Beispiele sind nicht so toll, aber es wird herausgearbeitet, wie die Pfadregel geschickt gehandhabt wird, z.B. durch Betrachtung nur eines Teilbaums oder durch Zusammenfassung bestimmter Äste. Eine weitere Erkenntnis ist, daß bisweilen die Berechnung über das Gegenereignis bedeutend einfacher ist. Sehr ausführlich wird darauf das klassische Geburtstagsproblem samt methodischen Hinweisen abgehandelt.

Ein Hauptkapitel ist der Kombinatorik gewidmet. Kombinatorik ist die Lehre vom Bestimmen von Anzahlen. Dieses Bestimmen von Anzahlen ist in der Sekundarstufe I beim Berechnen von Wahrscheinlichkeiten mit Hilfe des Laplaceschen Ansatzes von großer Bedeutung. Man kann jedoch auch Kombinatorik an interessanten Fragestellungen ("Weißt du wieviel .. ... ? ") betreiben, ohne ihre Anwendung in der Wahrscheinlichkeitsrechnung im Hinterkopf zu haben.

In diesem Band kommen zur Grundlegung kombinatorischer Kenntnisse zuerst das allgemeine Zählprinzip und dann drei Standardfälle zur Sprache. (Ziehen mit und ohne Zurücklegen, Ziehen mit einem Griff, d.h. die Fakultät). Die hier verwendete Formulierung dieser drei Fälle bezieht sich auf das geläufige Modell "Ziehen aus einer Urne".

Der Verfasser beginnt mit folgenden Sätzen: "Erfahrungen vieler Kollegen im Kombinatorikunterricht lauten so: Zuerst ist es zu einfach, wenn man noch alle Möglichkeiten aufschreiben kann, und wenn dies nicht mehr der Fall ist, dann ist es zu schwierig. Günstig ist es auf jeden Fall, Vorstellungen an Aufschreibbarem zu entwickeln und wo nötig, immer wieder zu Aufschreibbarem zurückzukehren."

Mit diesen Grundlagen aus der Kombinatorik kann man Wahrscheinlichkeiten berechnen. Dies wird besonders an den Beispielen "Multiple - Choice - Aufgaben" und "Zahlenlotto 6 aus 49" gezeigt. Es wird gegen Lotto-Vollsysteme argumentiert, die kleinen Gewinnmöglichkeiten beim Lotto werden verdeutlicht und es wird gezeigt, wie man für den Fall eines Gewinns für höhere Quoten sorgt. Ein Anhang beschäftigt sich mit Zufallszahlen.

Der vierte und letzte Abschnitt behandelt Kernthemen der Wahrscheinlichkeitsrechnung: Additionssatz, Unabhängigkeit von Ereignissen, Multiplikationssatz. Hierzu werden wieder gute Beispiele aus der Praxis detailliert dargestellt.

Ein Anwendungsbeispiel, in dem abhängige Ereignisse und zugehörige Wahrscheinlichkeiten eine Rolle spielen sind Aids-Tests. Aids-Tests finden mit hoher Zuverlässigkeit Infizierte unter den Untersuchten und klassifizieren mit hoher Sicherheit Nicht-Infizierte als solche. Aber 100%ig, zuverlässige Aussagen können solche Tests nicht machen. Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist z.B. eine Person mit positivem Testergebnis tatsächlich infiziert? Diese Wahrscheinlichkeit kann sehr klein sein, wie mit Hilfe der bedingten Wahrscheinlichkeiten gezeigt wird.

Für die Unabhängigkeit werden Beispiele aus der Theorie der Zuverlässigkeit gewählt. Eine Maschine besteht aus zwei oder mehreren unabhängig voneinander arbeitenden Teilen. Mit welcher Wahrscheinlichkeit ("Zuverlässigkeit") funktioniert die Maschine?

Insgesamt gesehen liegt hier eine gute Einführung in die Wahrscheinlichkeitsrechnung für die Sekundarstufe I vor, die durch viele interessante Beispiele besticht und die dem Lehrer zusätzlich methodisch-didaktische Hinweise aus der Praxis gibt.

Gerhard König

Fachinformationszentrum
(FIZ) Karlsruhe
Hermann-von-Helmholtz-Platz
76344 Eggenstein-Leopoldshafen

Stochastik in der Schule 15(1995)3, 53-55