Stochastik
in der Schule


Gauss 3D

Band 13 (1993)
Heft 3

Jörg Meyer: Rezension von
'Heinz Althoff und Dieter Koller: Mündliches Abitur Mathematik. Anregungen und Hilfen für Schüler und Lehrer'
Klett, Stuttgart 1992, 221 S., ISBN 3-12-724030-9

Die Zielgruppe des vorliegenden Werks sind Lehrer und Schüler. Wer nun allerdings erwartet hat, "nur" eine Aufgabenplantage im üblichen Stil der Aufgabensammlungen zum schriftlichen Abitur vorzufinden, sieht sich angenehm überrascht. Ein Großteil der Aufgaben ist in dem Sinne aufbereitet, daß nicht nur Lösungen angegeben werden, sondern daß auch ihre Qualität im Sinne der besonderen Anforderungen einer mündlichen Prüfung erläutert wird.

Dazu werden im ersten Teil des Buches erst einmal die Besonderheiten des mündlichen Abiturs dargestellt und hieraus Konsequenzen für die Aufgabenstellung abgeleitet. Dies betrifft beispielsweise die Berücksichtigung des zeitlichen Verlaufs, woraus sich zum einen ergibt, was sinnvollerweise nicht abzuprüfen ist, zum anderen aber auch, inwiefern die dem Prüfling schriftlich vorgelegte Aufgabenstellung Anknüpfungspunkte für das weitere Prüfungsgespräch enthalten muß. Zudem erläutern die Autoren zahlreiche Möglichkeiten der Aufgabengestaltung mit Hilfe von Overheadfolien.

Daß das "Wie" eines Vortrags eine beträchtliche Rolle spielt, haben Schüler möglicherweise im Unterricht selten konkret erlebt. Hier geben die Autoren beherzigenswerte Ratschläge, wie Verhalten verbessert werden kann. Als sehr hilfreich erweist es sich, wenn Schüler Gelegenheit bekommen, sich von außen zu beobachten. Aber auch mancher Lehrer ist sich vielleicht nicht immer über seine Wirkung im klaren. Hierzu sind Simulationen von mündlichen Prüfungen mit Video sinnvoll, zumal, wenn die Videobetrachtungen mit den "richtigen Fragen" dazu einhergehen, wenn man sie also geeignet entschlüsselt, wofür die Autoren in dankenswerter Ausführlichkeit Anregungen geben, und zwar sowohl für den Schüler (S. 29-30) als auch für den Lehrer (S. 30-31). Da ein solcher Umgang mit Video ungewohnt sein wird, ist der Abdruck eines vollständigen Transkriptes einer Prüfung mit Interpretationsanleitung sehr wertvoll.

Der Beurteilung von Prüfungsleistungen wird der Abschnitt 1.3 gewidmet. Es werden häufig vorkommende Fehler geschildert; eine umfangreiche Liste sinnvoller Bewertungskriterien schließt sich an.

Etwa 2/3 vom Gesamtumfang des Buches bildet eine Sammlung von mündlichen Abituraufgaben. Zunächst werden 15 Aufgaben (davon 1/3 aus der Stochastik) mit Lösungen vorgestellt, wobei diese Aufgaben sowohl Anregungen für das ergänzende Prüfungsgespräch enthalten als auch "Anmerkungen" zur Qualität der Aufgabenstellung und in denen z.T. diese Kriterien (noch einmal) akzentuiert werden: Die Aufgaben sollen "kaum" Rechnung enthalten, aber "Überblick, selbständiges Denken und die Fähigkeit zur verständlichen Darstellung mathematischer Sachverhalte verlangen" (S. 82). Insbesondere bei Stochastikaufgaben liegen die typischen Anforderungen im "Auffinden und Erläutern geeigneter Modelle" und "meistens nicht im rechnerischen Teil" (S. 72).

Nun enthält diese Sammlung in Abschnitt 2.1 viel Lobenswertes: Neben den gängigen Erläuterungen von Begriffen und Verfahren wird beispielsweise in der Analysis - statt des üblichen Weges von der Funktionsgleichung zum Graphen - der umgekehrte Weg eingeschlagen. Die Geometrieaufgaben beinhalten zwar nur die üblichen Schnitt- und Lageprobleme, aber das ist wohl die gemeinsame Schnittmenge der Geometrieunterrichtsveranstaltungen. Die Fähigkeit zum Modellbilden (d.h. hier die begründete Auswahl des "richtigen" Standardmodells) wird leider nur in den (mir recht gelungen erscheinenden) Stochastikaufgaben angesprochen. Als Kritikpunkt mancher Aufgaben dieses Abschnitts ist anzumerken, daß sie auch zur mehrfachen Ableitung von Funktionen der Art Polynom mal Exponentialfunktion und ähnlichen Fertigkeiten auffordern, die mit mathematischer Einsicht nicht unbedingt viel zu tun haben müssen.

Da der dritte Teil einer mündlichen Prüfung ein Themengebiet zum Inhalt haben sollte, das von der vorgelegten Aufgabenstellung verschieden ist, werden auch hierfür 6 Beispiele (davon wieder 1/3 aus der Stochastik) in aufbereiteter Form geliefert. Allerdings ist es problematisch, wenn die Autoren auch hier das Abfragen gelernter Kalküle u.U. sogar propagieren: "Bei leistungsschwächeren Prüflingen ist es eventuell zweckmäßig, (noch) mehr Rechnungen konkret durchführen zu lassen" (S. 105). Ist es nicht ehrlicher (wenn auch unpopulärer), einem Schüler, der zwar (wie ein entsprechendes Programm) formal richtig ableiten kann, aber gar nicht weiß, was eine Ableitung ist, eben dies auch durch eine entsprechend schlechte Note zu bescheinigen?

Für das Training der Schüler sind vor allem 43 weitere gelöste Aufgaben gedacht (ein knappes Fünftel aus der Stochastik). Deshalb enthalten sie auch Andeutungen, wie sich das vertiefende Prüfungsgespräch entwickeln könnte.

Insgesamt kann man den Autoren durchaus bescheinigen, daß sie mit ihrem Buch einen Beitrag zur Handlungskompetenz der Lehrer geleistet haben. Und auch die Schüler als zweite Zielgruppe dürften es für ihr Training als hilfreich empfinden.

Jörg Meyer

Schäfertrift 16
31789 Hameln

Stochastik in der Schule 13(1993)3, 47-49