Stochastik
in der Schule


Gauss 3D

Band 12 (1992)
Heft 2

Walter Krämer: Rezension von
'Hans Riedwyl: Zahlenlotto: Wie man mehr gewinnt'
Paul Haupt, Bern und Stuttgart 1990

Glücksspiele sind schon immer eine wichtige Triebfeder der Wahrscheinlichkeitstheorie gewesen. Diesen Antrieb mag man ob seiner Frivolität bedauern oder nicht, fest steht: es ist nun einmal so. Seit Gerolamo Cardanos „Liber de ludo aleae“, oder seit der notorische Chevalier de Méré vor über 300 Jahren seinen Bekannten Blaise Pascal um Aufklärung über bestimmte Wahrscheinlichkeiten bei Würfelspielen bat und damit der modernen Wahrscheinlichkeitstheorie zur Geburt verhalf, über das berühmte "St.-Petersburg-Paradox" von Daniel Bernoulli bis hin zur modernen Martingal-Theorie: Glücksspiele haben seit jeher zum Nachdenken über Wesen und Wirken des Zufalls angeregt und damit quasi nebenbei und ohne Absicht so manchen "homo ludens" zum "homo sapiens" gemacht.

Das vorliegende Buch von Hans Riedwyl über Zahlenlotto kann in dieser Tradition gesehen werden. Es führt ohne Jargon, und ohne Vorkenntnisse irgendeiner Art vorauszusetzen, sehr einfühlsam in das Berechnen von Wahrscheinlichkeiten ein. Die Ausführungen im Kap. 5: "Wie groß ist die Gewinnchance?" betreffend die möglichen Ergebnisse beim Ziehen ohne Zurücklegen z.B. können jedem Didaktiker ein Vorbild sein. So klar und auch für hartnäckige Anti-Mathematiker gut verständlich habe ich noch nirgendwo die Anzahl der Möglichkeiten beim Ziehen ohne Zurücklegen erklärt gesehen.

Der größte Teil des Buches ist allerdings der Psychologie und Mechanik des Lottospielens selbst gewidmet, und zwar der Variante "6 aus 45", wie sie in der Schweiz und Österreich zu Hause ist. Mechanik, weil vom Ausfüllen des Lottoscheins bis zur Ziehungsprozedur jeder Schritt des Lottospielens ausführlich erläutert wird (das wird die Lottogesellschaft freuen).

Psychologie, weil Riedwyl in einem enormen empirischen Parforce-Ritt sämtliche Lottoscheine einer bestimmten Ziehung (der 6. Ziehung 1990 in der Schweiz, mit mehr als 16 Millionen Tips) ausgewertet und die erstaunlichsten Tip-Muster ans Licht gefördert hat! So wäre etwa jede der rund 8 Millionen Zahlenkombinationen, die beim Lotto "6 aus 45" möglich sind, bei gleichmäßiger Verteilung der 16 Millionen Tips zweimal wählbar gewesen. In Wahrheit wurden aber ein Drittel der möglichen Kombinationen von überhaupt niemandem, andere Kombinationen wie Diagonalen und sonstige Muster dagegen von mehr als 20.000 Spielern angekreuzt! Diese extreme Ungleichverteilung der gewählten Kombinationen ist das wichtigste empirische Ergebnis dieses Buches.

Die Lehre daraus ist, daß man beim Lotto nicht nur gegen den Zufall, sondern in erster Linie gegen alle anderen Lottospieler spielt. Das Ziel ist weniger, zu gewinnen, als vielmehr, wenn man denn gewonnen hat, den Gewinn mit möglichst wenigen zu teilen, d.h. Zahlenkombinationen anzukreuzen, die niemand anderer benutzt.

Vielleicht ist es vermessen zu erwarten, daß dieser Umstand bei den Lesern des Buches ein Interesse an Mehrpersonen-Nullsummenspielen weckt; aber auch ohne dergleichen Exkursionen bietet das Buch von Riedwyl Anstöße genug. Es läßt sich im Unterricht sehr schön zur Appetitanregung auf weiterführende Verfahren der Wahrscheinlichkeitsrechnung benutzen, und kann wegen seiner klaren und unprätentiösen Sprache auch allen Laien, die sich für Lotto interessieren, sehr empfohlen werden.

Prof. Dr. Walter Krämer

FB Statistik der Universität Dortmund
Vogelpothsweg – Postfach 50 05 00
44221 Dortmund

Stochastik in der Schule 12 (1992)2, 54-55