Stochastik
in der Schule


Gauss 3D

Band 11 (1991)
Heft 3

Vorwort

Lieber Leserin, lieber Leser!

Ich habe die Absicht nicht aufgegeben, ein Heft zum Computereinsatz im Statistik-Unterricht zusammenzustellen. Aber gut Ding braucht Weile. In der Zwischenzeit hat es sich so ergeben, daß das vorliegende Heft als Themenschwerpunkt die Beurteilende Statistik hat. Wie kann man Information aus Daten verallgemeinern, ist die zentrale Frage.

Im einleitenden Beitrag von Talbot und Leonard wird eine Werbung für Statistik an einem Tag der Offenen Tür vorgestellt, die sich auf populärwissenschaftlichem Niveau gerade dieser Frage widmet. Es folgt ein Beitrag von Tamura zur Modellierung von statistischen Analysen, in dem schematisch die Vorgangsweise bei einem statistischen Experiment bzw. bei einer Datenerhebung beschrieben wird. Erst die Einhaltung der dargestellten Schritte gewährleistet, daß die in den Daten steckende Information statistisch wirklich verwertet werden kann.

Mehr methodologisch orientiert ist die Diskussion, ob die Methoden der Beurteilenden Statistik dem gesunden Menschenverstand widersprechen. Buth wirft anhand konkreter Fragestellungen die zentrale Problematik des Testens auf: Kann man aus einem Testergebnis eine Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der zu prüfenden Hypothesen ableiten? Er benutzt den Bayesschen Rahmen, um zu zeigen, daß dies nicht möglich ist. Allerdings verwirft er auch diesen Ansatz als didaktische Alternative zum Testen. Insofern mag Buth eher pessimistisch werden lassen, weil er Lücken in der klassischen Statistik aufzeigt. Diese führen in der Tat immer wieder zu Mißverständnissen bei jenen, die Statistik lernen oder anwenden.

In seiner Anmerkung zu Buths Artikel gibt sich Riemer nicht damit zufrieden, daß man Schwierigkeiten im Verständnis und der Anwendbarkeit von Tests aufzeigt, ohne eine Alternative anbieten zu können. Zum einen kommt für Riemer dem Bayes-Rahmen eine zentrale Rolle zu, um eine "Brücke zwischen dem gesunden Menschenverstand und der Beurteilenden Statistik zu schlagen". Zum anderen sieht er im klassischen Zugang durchaus eine vernünftige Bewältigung von Anwendungsproblemen, die auch didaktisch verwertbar ist. Er zeigt in einem eigenen Artikel, wie traditionelles Testen schon im Unterricht der Sekundarstufe I sinnvoll behandelt werden kann.

Riemer benutzt dazu die alte Idee des 'Eins durch Wurzel n'-Gesetzes von Freudenthal zur Beschreibung des Fehlers des Mittelwerts, wonach dieser mit zunehmendem Umfang der Daten mit der Rate 1/n kleiner wird. Dies entspricht einer alten Erfahrung aus der Meßtheorie; der Fehler des Mittelwerts ist erheblich kleiner als der Fehler der Einzelmessung. Das war letztlich der Grund, warum sich in der Physik die Vorgangsweise durchgesetzt hat, eine Größe mehrmals zu messen und dann den arithmetischen Mittelwert zu bilden. Übrigens, C.F. Gauß verdankt dieser Methode seinen frühen Ruhm, weil er dadurch die Wiederkehr eines Kometen erfolgreich voraussagen konnte.

Zurück zu Riemer. Er behandelt die Beziehung des Fehlers des Mittelwerts zum Umfang der Stichprobe als eine Art Naturgesetz und konzentriert die unterrichtlichen Bemühungen darauf, den Schülerinnen und Schülern eigene Erfahrungen dazu zu vermitteln. Auf der Basis des Fehlerintervalls können viele reale Probleme behandelt werden, nicht nur die im Zusammenhang mit der Binomialverteilung; der Zugang kann auf elementare Weise die Methode der Vertrauensintervalle vorbereiten. Die Diskussion um die Interpretation von Testergebnissen und der elementare Zugang zu den Vertrauensintervallen zeigt deutlich, daß letztere nicht nur einfacher sondern auch weniger angreifbar sind.

In einer Problemecke werden u.a. auch Fragen angeschnitten, wie man neue Informationen behandeln soll, damit man den neuen Wissensstand in Form von Wahrscheinlichkeiten ausdrücken kann. Darin wird die Diskussion um die Wahl aus drei Türen, hinter denen sich ein Auto und zwei Ziegen befinden (siehe den Spiegel), beleuchtet. Der Computer kommt bei Holmes indirekt vor als begriffsbildendes Element, das Denken über ein Problem mitgestaltet. Göbels spannt den Bogen von der Stochastik zur Analysis, indem er die Binomialverteilung auf Extremwerte untersucht und so die Poisson-Näherung dem Leser 'nähert'.

Sie werden bemerken, daß wir wieder ein wenig mit dem Layout probieren. Die Textverarbeitung macht so riesige Fortschritte, da wollen wir nicht hintanstehen. Für Anregungen sind wir, wie immer, dankbar. Mit guten Wünschen für Ihre Arbeit verbleibe ich Ihr

Manfred Borovcnik

Klagenfurt, im Oktober 1991


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