Lieber Leserin, lieber
Leser!
Ich habe die Absicht
nicht aufgegeben, ein Heft zum Computereinsatz im
Statistik-Unterricht zusammenzustellen. Aber gut Ding braucht Weile.
In der Zwischenzeit hat es sich so ergeben, daß das vorliegende
Heft als Themenschwerpunkt die Beurteilende Statistik hat. Wie kann
man Information aus Daten verallgemeinern, ist die zentrale Frage.
Im einleitenden Beitrag
von Talbot und Leonard wird eine Werbung für Statistik an einem
Tag der Offenen Tür vorgestellt, die sich auf
populärwissenschaftlichem Niveau gerade dieser Frage widmet. Es
folgt ein Beitrag von Tamura zur Modellierung von statistischen
Analysen, in dem schematisch die Vorgangsweise bei einem
statistischen Experiment bzw. bei einer Datenerhebung beschrieben
wird. Erst die Einhaltung der dargestellten Schritte gewährleistet,
daß die in den Daten steckende Information statistisch wirklich
verwertet werden kann.
Mehr methodologisch
orientiert ist die Diskussion, ob die Methoden der Beurteilenden
Statistik dem gesunden Menschenverstand widersprechen. Buth wirft
anhand konkreter Fragestellungen die zentrale Problematik des Testens
auf: Kann man aus einem Testergebnis eine Wahrscheinlichkeit für
die Richtigkeit der zu prüfenden Hypothesen ableiten? Er benutzt
den Bayesschen Rahmen, um zu zeigen, daß dies nicht möglich
ist. Allerdings verwirft er auch diesen Ansatz als didaktische
Alternative zum Testen. Insofern mag Buth eher pessimistisch werden
lassen, weil er Lücken in der klassischen Statistik aufzeigt.
Diese führen in der Tat immer wieder zu Mißverständnissen
bei jenen, die Statistik lernen oder anwenden.
In seiner Anmerkung zu
Buths Artikel gibt sich Riemer nicht damit zufrieden, daß man
Schwierigkeiten im Verständnis und der Anwendbarkeit von Tests
aufzeigt, ohne eine Alternative anbieten zu können. Zum einen
kommt für Riemer dem Bayes-Rahmen eine zentrale Rolle zu, um
eine "Brücke zwischen dem gesunden Menschenverstand und der
Beurteilenden Statistik zu schlagen". Zum anderen sieht er im
klassischen Zugang durchaus eine vernünftige Bewältigung
von Anwendungsproblemen, die auch didaktisch verwertbar ist. Er zeigt
in einem eigenen Artikel, wie traditionelles Testen schon im
Unterricht der Sekundarstufe I sinnvoll behandelt werden kann.
Riemer benutzt dazu die
alte Idee des 'Eins durch Wurzel n'-Gesetzes von Freudenthal zur
Beschreibung des Fehlers des Mittelwerts, wonach dieser mit
zunehmendem Umfang der Daten mit der Rate 1/n kleiner wird.
Dies entspricht einer alten Erfahrung aus der Meßtheorie; der
Fehler des Mittelwerts ist erheblich kleiner als der Fehler der
Einzelmessung. Das war letztlich der Grund, warum sich in der Physik
die Vorgangsweise durchgesetzt hat, eine Größe mehrmals zu
messen und dann den arithmetischen Mittelwert zu bilden. Übrigens,
C.F. Gauß verdankt dieser Methode seinen frühen Ruhm, weil
er dadurch die Wiederkehr eines Kometen erfolgreich voraussagen
konnte.
Zurück zu Riemer.
Er behandelt die Beziehung des Fehlers des Mittelwerts zum Umfang der
Stichprobe als eine Art Naturgesetz und konzentriert die
unterrichtlichen Bemühungen darauf, den Schülerinnen und
Schülern eigene Erfahrungen dazu zu vermitteln. Auf der Basis
des Fehlerintervalls können viele reale Probleme behandelt
werden, nicht nur die im Zusammenhang mit der Binomialverteilung; der
Zugang kann auf elementare Weise die Methode der Vertrauensintervalle
vorbereiten. Die Diskussion um die Interpretation von Testergebnissen
und der elementare Zugang zu den Vertrauensintervallen zeigt
deutlich, daß letztere nicht nur einfacher sondern auch weniger
angreifbar sind.
In einer Problemecke
werden u.a. auch Fragen angeschnitten, wie man neue Informationen
behandeln soll, damit man den neuen Wissensstand in Form von
Wahrscheinlichkeiten ausdrücken kann. Darin wird die Diskussion
um die Wahl aus drei Türen, hinter denen sich ein Auto und zwei
Ziegen befinden (siehe den Spiegel), beleuchtet. Der Computer
kommt bei Holmes indirekt vor als begriffsbildendes Element, das
Denken über ein Problem mitgestaltet. Göbels spannt den
Bogen von der Stochastik zur Analysis, indem er die
Binomialverteilung auf Extremwerte untersucht und so die
Poisson-Näherung dem Leser 'nähert'.
Sie werden bemerken, daß
wir wieder ein wenig mit dem Layout probieren. Die Textverarbeitung
macht so riesige Fortschritte, da wollen wir nicht hintanstehen. Für
Anregungen sind wir, wie immer, dankbar. Mit guten Wünschen für
Ihre Arbeit verbleibe ich Ihr
Manfred Borovcnik
Klagenfurt, im Oktober
1991