Stochastik
in der Schule
Gauss 3D
Band 6(1986)
Heft 2

J. Truran: Das Verständnis von Symmetrie bei Kindern

Originaltitel in „Teaching Statistics“ Vol. 7(1985): Children‘s Understanding of Symmetry
Übersetzung: H.-J. Bentz und M. Borovcnik

Zusammenfassung: Münzen und Würfel sind populäre Hilfsmittel, den Unterricht in elementarer Wahrscheinlichkeitsrechnung zu beleben, zu veranschaulichen und zu vereinfachen. Man möchte jedoch kaum glauben, welch eigenartige Vorstellungen dazu bei Kindern vorhanden sind. Der Autor berichtet davon in Interviewprotokollen und strukturiert die von den Schülern gemachten Äußerungen.



1. Vorbemerkungen

Freudenthal (1982) hat festgestellt, „Symmetrie als Quelle stochastischen Verständnisses ist ein eigentlich unbekanntes und sträflich vernachlässigtes intuitives und didaktisches Werkzeug. Dies sollte ein Gemeinplatz sein, aber Didaktiker scheinen nicht schneller zu lernen als ihre Studenten.“

Im Unterricht von Wahrscheinlichkeitsrechnung werden häufig folgende drei Hilfsmittel benützt, die auf Symmetrie beruhen: Münzen, Würfel und Urnen. In dieser Arbeit werden einige Aspekte des Verständnisses der ersten beiden genannten Hilfsmittel bei Kindern behandelt.

Kerslake (1974) machte darauf aufmerksam, dass viele Grundschulkinder glauben, dass beim Werfen eines Würfels einige Augenzahlen leichter zu erhalten sind als andere. Sie beobachtete ferner einen gewissen ‚Fortschritt‘ im vierten Schuljahr im Vergleich zu den Schuljahren eins bis drei. Mindestens die Hälfte der Kinder im Durchschnitt aller vier Schuljahre glaubten, dass die ‚Sechs‘ am schwierigsten zu erhalten wäre. Kerslake schrieb dies dem Umstand zu, dass man in vielen Spielen eine ‚Sechs‘ benötigt, um überhaupt das Spiel beginnen zu können.

Green (1983) präsentiert Ergebnisse einer umfassenden Untersuchung von Schülern der Klassen 7 bis 11 (Elf- bis Sechzehnjährige). Auch er fand einen Fortschritt mit zunehmendem Alter und schließt, dass „es ein Vorurteil gegen die ‚Sechs‘ gibt, welches sich zum Teil bis ins Erwachsenenalter fortsetzt“. Dieses Vorurteil findet man am ehesten bei weniger begabten Studenten. Green wies darauf hin, dass das unregelmäßige Antwortmuster solcher Studenten ein tatsächliches Schwanken in der Meinung über stochastische Situationen widerspiegeln könnte.

2. Der Untersuchungsrahmen

Unregelmäßiges Antwortverhalten mag viele Gründe haben. Klinische Interviews lassen diese Gründe vertiefter untersuchen als dies in großangelegten Beobachtungsstudien möglich ist. In diesem Aufsatz wird eine vorläufige Auswertung einer kleinen Zahl klinischer Interviews gegeben, die in Schulen in South Australia im Jahre 1981 durchgeführt wurden.

Zwei für das Themengebiet relevante Serien von Fragen wurden kurz vor einem Interview von 20-30 Minuten gestellt. Die Fragen wurden am Ende des Interviews in jenen Fällen nocheinmal gestellt, in denen die Person irgendein Zeichen von Unsicherheit bzw. Inkonsistenz gezeigt hatte. Die folgenden Protokolle geben die Grundstruktur der Fragen wieder, diese wurde im Einzelfall entsprechend den vorhergehenden Antworten abgeändert.

  1. Du wirfst einen Würfel. Bist du der Meinung, dass einige der Augenzahlen leichter als andere zu erhalten sind?
    Warum (nicht)?
    Welche Zahl ist am leichtesten zu erhalten?
    Welche Zahl ist am schwersten zu erhalten?
    Warum?

  2. Ich werfe diese Münze. Gibt es irgendeine Methode, zu bewirken, dass sie auf ‘Kopf‘ landet?
    Warum (nicht)?
    Ich werfe diese Münze.
    Gibt es irgendeine Methode, zu bewirken, dass sie auf ‘Zahl‘ landet?
    Warum (nicht)?

3. Kategorien von Ursachen für falsches Antwortverhalten – Transkripte

A. Falsche Auslegung der Frage

AP (13:8, Klasse 8)

I

Du wirfst einen Würfel. Sind einige der Zahlen leichter zu erhalten als andere?

S

Nein, nicht wirklich.

I

Kannst du sagen, warum?

S

Du weißt wirklich nicht, auf welcher Seite er landen wird oder irgendetwas anderes, aber ... ja ... du weißt wirklich nicht, auf welcher Seite er landen wird. Er rollt irgendwie weiter ... Ich kann das nicht beschreiben.

I

In Ordnung, fein.

S

Um ... die häufigste Zahl, die ich je bisher hatte, ist die ‚Fünf‘.

I

Sind also doch einige Zahlen leichter zu erhalten als andere, was ist nun wirklich?

S

Nicht leichter, sie kommen bloß häufiger.

B. Mangelndes Verständnis der Symmetrie

B.1 Der Glaube, dass Münzen geistigen Kräften unterliegen

DR (8:9, Klasse 4)

I

Wenn ich diese Münze werfe, gibt es irgendeine Methode, zu bewirken, dass sie auf ‚Kopf‘ landet?

S

Nicht bevor du es tust.

I

Wie könntest du es bewirken, dass sie auf ‚Kopf‘ landet?

S

‚Bitte‘ sie einfach darum.

I

Gibt es irgendeine Methode, zu bewirken, dass sie auf Zahl landet?

S

Dasselbe.

I

Wenn ich sie ‚bitte‘, auf ‚Kopf‘ zu fallen, wird das jedes Mal klappen?

S

Ich weiß nicht, das könnte sein.

I

Hast du jemals versucht, eine Münze zu ‚bitten‘?

S

Nein. Ich versuchte, einen Würfel zu ‚bitten‘.

I

Funktionierte das?

S

Manchmal tat er das, manchmal ging es daneben.

I

Hast du vielleicht nicht inständig genug ‚gebeten‘.

S

Ich ‚bat‘ den Würfel, wenn es klappte, ich ‚bat‘ ihn nicht wirklich ausreichend, wenn es nicht klappte.

B.2 Der Glaube, dass Münzen physikalischen Kräften unterliegen

MvdW (13:3, Klasse 8)

I

Ich werfe eine Münze. Gibt es irgendeine Methode, zu bewirken, dass sie auf ‚Kopf‘ landet?

S

Ich nehme an, wenn du es ziemlich gut kannst, dann könntest du vermutlich eine Chance von 60% erreichen.

I

Wie würdest du das anstellen?

S

Versuche einfach, herauszubekommen, wie hoch du die Münze hinaufwerfen musst und wie viel Drehung du ihr versetzen musst, übe das eine Zeit lang.

I

Ich versteh‘ schon. Kann ich es auch bewirken, dass sie auf ‚Zahl‘ landet?

S

Ja, vermutlich, wenn du genauso wie vorhin vorgehst.

B.3 Inkonsistenz zwischen Symmetrien von Münzen und Würfeln

AM (14: 10, Klasse 10)

I

Sind einige Zahlen leichter zu bekommen als andere?

S

Nicht wirklich. Nicht wirklich. Alle haben dieselbe Chance zu kommen.

I

Ganz sicher?

S

Manchmal die ‚Drei‘ oder die ‚Fünf‘ und meistens die ‚Sechs‘ sind schwer.

I

Was meinst du mit meistens die ‚Sechs‘?

S

Wenn du auf die ‚Sechs‘ wartest, dann kommt sie nie, bis du nicht mehr wartest. Du würfelst und wartest drauf und du würfelst weiter, die ‚Sechs‘ kommt kaum.

I

Welche Zahl ist am leichtesten zu erhalten?

S

Die ‚Drei‘

I

Warum die ‚Drei‘?

S

Ich weiß es nicht. Sie kommt dauernd. Oh, nicht immerfort, meistens die ‚Drei‘ und die ‚Vier‘.

I

Wenn ich eine Münze werfe, gibt es irgendeine Methode, zu bewirken, dass sie auf ‚Kopf‘ landet?

S

Nein, nicht wirklich, nein.

I

Gibt es irgendeine Methode, zu beeinflussen, dass sie auf ‚Zahl‘ landet?

S

Nein, die Chancen sind ausgeglichen, eins von zwei.

I

Warum sind die Chancen ausgeglichen?

S

Es ist kein Trick dabei, oder so?

I

Nein, es ist eine faire Münze.

S

... Dann ist es geradeso. Entweder fällt sie auf ‚Kopf‘ oder ‚Zahl‘ ...

I

Ja?

S

??? ungefähr gleich oft.

B.4 Fehlendes Verständnis, dass ‚leichter‘ und ‚schwer‘ komplementär zueinander sind

PL (8:8, Klasse 4)

I

Welche Zahl ist am schwersten zu erhalten?

S

Die ‚Sechs‘.

...

I

Welche Zahl ist am leichtesten zu erhalten?

S

Ich weiß es nicht.

I

Gibt es eine leichteste Zahl?

S

Sie sind alle schwer, wenn du möchtest, dass sie kommen.

C. Würdigung der Symmetrie aus falschen Gründen heraus

C.1 Schließen auf der Basis der Unbestimmtheit der Ausgänge

JM (13:7, Klasse 8)

I

Gibt es irgendeine Methode, zu bewirken, dass eine Münze auf ‚Kopf‘ landet?

S

Ich weiß es nicht.

I

Was meinst du mit „ich weiß nicht“?

S

Es sollte keine Methode geben, denn, sobald sie in der Luft ist, landet sie einfach.

I

Gibt es irgendeine Methode, zu bewirken, dass sie auf ‚Zahl‘ landet?

S

Nein, weil es darauf ankommt. Wie immer sie beim Landen runterkommt, so kommt sie.

C.2 Schließen auf Basis der Notwendigkeit für einen Wechsel

CG (15: 3, Klasse 10)

I

Du wirfst einen Würfel. Sind einige der Zahlen leichter zu erhalten als andere?

S

Nein.

I

Kannst du sagen warum?

S

Weil er sechs Flächen hat und weil wirklich nicht immer dieselbe obenauf liegen kann. Es wechselt.

I

Sind einige Zahlen schwerer zu bekommen als andere?

S

Nein.

...

I

Zu welchem Zweck wirfst du Münzen auf?

S

Um die Reihenfolge beim Abwaschen und ähnliche Sachen zu bestimmen.

I

Ist das eine gerechte Methode?

S

Ja!

I

Wenn ich eine Münze werfe, gibt es irgendeine Methode, zu bewirken, dass sie auf ‚Kopf‘ landet?

S

Nein.

I

Oder ‚Zahl‘?

S

Nein.

I

Kannst du erklären, warum ich das nicht kann?

S

Dasselbe wie vorher. Sie hat zwei Seiten und du kannst wirklich nicht immer dasselbe Ergebnis haben. Es muss sich ändern.

C.3 Schließen mit dem Blickwinkel, dass man in der Schule benotet wird

AM (14:10, Klasse 10)

I

(fragt das zweite Mal) Wenn ich einen Würfel werfe, sind einige Zahlen leichter zu erhalten als andere?

S

Von dem, was wir in Mathematik gemacht haben, heraus, nein, nicht wirklich. Würfelst du, dann kommen einige Zahlen.

I

Oh, ich versteh‘ schon, du bleibst bei deiner Ansicht, was hast du schon gesagt, die ‚Drei‘ und die ‚Vier‘ sind leichter?

S

Die mittleren Zahlen sind am leichtesten.

I

Und die ‚Sechsen‘ sind schwerer?

S

Mm.

I

Wie verknüpfst du das mit dem, was du in Mathematik machst, wie du dich ausdrückst?

S

Oh, die erzählen dir etwas, aber wenn du nach Hause gehst und es tust, dann scheint es nicht dasselbe zu sein.

I

Bist du nach Hause gegangen und hast es einfach zum Spaß gemacht, oder musstest du das mal als Hausaufgabe machen?

S

Oh, nein, ich habe es einfach so getan.

D. Korrekte Einschätzung der physikalischen Symmetrie

US (15:10, Klasse 10)

I

Du wirfst einen Würfel. Sind einige Zahlen leichter zu erhalten als andere?

S

Nicht wirklich, die Chance beträgt ein Sechstel, wenn du würfelst ... nein. Nein.

I

Nein?

S

Nein.

I

Warum nicht?

S

Weil es von der Art, wie du wirfst, abhängt. Bloß weil du auf diese eine Art wirfst, heißt es noch nicht, dass du eine ‚Sechs‘ bekommen könntest. Das ist schwer zu erklären. Du wirst nicht dieselbe Zahl erhalten, keine Zahl ist leichter, weil sie alle auf einer ebenen Fläche sind, und es abhängt, wie stark er rollt oder wie sehr du ihn schüttelst und wie er fällt, das alles beeinflusst die Seite, die du erhältst. Keine Seite ist demnach leichter, weil alle gleich sind, mit der Ausnahme, dass sie verschieden viele Punkte haben.

4. Zur Interpretation der Transkripte – Konsequenzen daraus für den Unterricht

Diese Klassifikation der Antworten ist sicherlich unvollständig. Die Kategorien von Antworten sind nicht gegenseitig ausschließend. Zweifellos könnte die Klassifikation durch schärfere Forschungsmethoden verfeinert werden. Aber auch in der gegenwärtigen Beschaffenheit mag sie dazu beitragen, einige drängende pädagogische Probleme zu klären.

Erstens mag diese Klassifikation es Lehrern erleichtern, die Antworten von Studenten zu bewerten und geeignete gegensteuernde praktische Erfahrungen einzubringen. Studenten etwa, deren Antwort unter Typ C 1 fällt, könnten aufgefordert werden, Reißzwecken zu werfen oder die Häufigkeitsverteilung der Geschlechter bei Neugeborenen zu untersuchen, damit sie einsehen lernen, dass Unbestimmtheit nicht Gleichwahrscheinlichkeit nach sich zieht.

Zweitens, Transkript C 3 zeigt, dass das Lehren des Wahrscheinlichkeitskalküls allein nicht garantiert, dass dieser Kalkül für anwendbar auf die reale Welt angesehen wird. Daher müssen Methoden gefunden werden, die zeigen, dass jene, die solch einen Kalkül verwenden, im Vorteil sind gegenüber jenen, die dies nicht tun. Darin liegt der Vorteil von Spielen.

Es ist nahezu sicher, dass Spiele mehr bewirken als ein Direkteinstieg in Experimente. Transkripte B 1, B 2 und C 3 zeigen, dass ein Experiment kaum Vorurteile verändert. Bis zu einem gewissen Grad gibt es sogar einen guten mathematischen Grund dafür. Freudenthal (1972) hat festgestellt, dass bei 100 Würfen mit einer Münze die relative Häufigkeit mit 95% Wahrscheinlichkeit zwischen 0,4 und 0,6 zu liegen kommt, dass ferner 2500 Würfe notwendig sind, damit die 95%-Grenzen zwischen 0,48 und 0,52 fallen. Mit anderen Worten, das Experiment, oft eine Münze zu werfen und die Ergebnisse aufzuzeichnen, garantiert nicht, eine solche Symmetrie der Ergebnisse zu erhalten, die ausreichte, eine Änderung der Meinung herbeizuführen.

Sherwood (1978) beschreibt die Arbeit von Varga mit asymmetrischen Geräten wie einen ‚eiernden‘ Würfel. Erfahrungen mit offensichtlich asymmetrischen Geräten machen es wahrscheinlich Studenten leichter, die wesentlichen Merkmale einzuschätzen, welche Symmetrie garantieren.

Drittens, aus den Transkripten B 1 bis B 4 wird es klar, dass naive Studenten nicht immer konsistente Sichtweisen haben. Hawkins und Kapadia (1984) haben behauptet, dass subjektive Wahrscheinlichkeit der wirksamste Zugang ist für den Unterricht von Kindern. Damit dieser Zugang bestmöglich verwertet wird, verbleibt zu klären, in welchem Stadium Kinder ausreichend dazu in der Lage sind, Inkonsistenzen zu beobachten.

Schließlich zeigt die Klassifikation wohl deutlich die Beschränkungen von notwendigerweise starren Massenuntersuchungen. Die Entwicklung des Wahrscheinlichkeitskonzepts bei Kindern ist noch immer nicht voll verstanden. Während eine Massenuntersuchung einen guten Anhaltspunkt über den Zustand einer Meinung geben kann, ist sie weniger geeignet, die Gründe für diesen Zustand aufzuzeigen oder Hinweise dafür zu geben, wie Unterrichtsmethoden verfeinert werden könnten.

Literatur

Freudenthal, H.: „The Empirical Law of Large Numbers“ or „The Stability of Frequencies“. In: Educational Studies in Mathematics 4 (1972), 484-490.

Freudenthal, H.: Book Review. In: Educational Studies in Mathematics 13 (1982), 227-228.

Green, D.R.: Shaking a Six. In: Mathematics in School 12(5) 1983, 29-32.

Hawkins, A.S. u. R. Kapadia: Children‘s Conceptions of Probability – A Psychological Review. In: Educational Studies in Mathematics 15 (1984), 349-377.

Kerslake, D.: Some Children‘s Views on Probability. In: Mathematics in School 5(4) 1974, 22.

Sherwood, P.: Introducing Dr Varga and some of his Ideas for Probability in the Junior School. In: Mathematics in School 7(3) 1978, 6-7.



John Truran

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