Stochastik
in der Schule
Gauss 3D
Band 6(1986)
Heft 2

Änderungen der Tennisregeln: Wer profitiert davon?

Originaltitel in ‚Teaching Statistics‘ Vol. 7(1985):
Changing the Rules of Tennis: Who has the Advantage?
Übersetzung: Manfred Borovcnik, Klagenfurt

Zusammenfassung: Das Tennisspiel wird als Zufallsspiel aufgefaßt. Mittels einfacher Wahrscheinlichkeitsberechnungen und einiger Annahmen kann man Gewinnwahrscheinlichkeiten für einzelne Spieler sowie die zu erwartende Spieldauer berechnen. Eine Regeländerung begünstigt nach dieser Analyse leicht den Rückschläger und verkürzt im Durchschnitt aller ‚Games‘ die Spieldauer um knapp einen Punkt.

1. Einleitung

Nach den geltenden Regeln im Tennis wird ein Spiel (‚Game‘) von jenem Spieler gewonnen, der zuerst vier Punkte gewinnt. Davon ausgenommen ist der Fall, dass beide Spieler zuvor je drei Punkte gewinnen, diese Situation wird auch ‚deuce‘ genannt: Dann wird so lange weiter gespielt, bis einer der beiden Spieler zwei Punkte Vorsprung hat, dieser hat dann das Spiel gewonnen.

Sind die Spieler ungefähr gleich gut, so kann dies zu einigen langen Spielen führen. Eine kürzlich erfolgte Neuerung in einigen Bereichen des Profi-Tennis besteht in der Veränderung der Spielregeln bei ‚deuce‘, sodass der Gewinner des nächsten Punktes auch schon der Gewinner des Spiels ist.

Hauptziel dieser Regeländerung ist es, die durchschnittliche Länge der Spiele zu verkürzen. Unter bestimmten Annahmen kann man elementare Wahrscheinlichkeitsberechnungen durchführen, um den Effekt dieser Änderung auf die Wahrscheinlichkeit, dass einer der beiden Spieler das Spiel gewinnt, sowie auf die zu erwartende Spieldauer zu bestimmen.

2. Die Wahrscheinlichkeit, ein Spiel zu gewinnen

Betrachten wir ein Spiel zwischen den Spielern A und B, nehmen wir an, Spieler A serviert, ferner

  1. die Wahrscheinlichkeit, dass Spieler A einen Punkt gewinnt, ist konstant, wir bezeichnen sie mit p,
  2. die Punkte, die ausgespielt werden, stellen unabhängige Ereignisse dar.

Sei q = 1-p die (konstante) Wahrscheinlichkeit, dass der Rückschläger B einen Punkt gewinnt. Nach dem System der Punktezählung beim Tennis kann man folgende Wahrscheinlichkeiten nach der geltenden Regel ausrechnen.



(1)


(2)


(3)


(4)


(5)

Aus (1) bis (5) folgt:



(6)

Analog dazu erhält man die Wahrscheinlichkeiten für Spieler B durch Vertauschen von p und q in (1) bis (6). Tatsächlich gelten (1) bis (4) auch unter der neuen Regel, (5) wird zu



(7)

Insgesamt ergibt sich statt (6)



(8)

Aus (6) und (8) ergibt sich als durch die Regeländerung bedingter ‚Zuwachs‘ (p*) in der Wahrscheinlichkeit, dass Spieler A das Spiel gewinnt:



(9)

Mittels Überlegungen aus der elementaren Algebra kann man leicht zeigen, dass p*>0, falls p<0,50, d.h. ein Spieler hat nach der neuen Regel eine höhere Wahrscheinlichkeit, ein Spiel als Aufschläger zu gewinnen, falls er generell weniger als die Hälfte der Punkte bei seinem Service gewinnt. Dies ist im professionellen Tennis üblicherweise selten, sodass man daraus schließen kann, dass, im allgemeinen, die neue Regel den Rückschläger begünstigt: das genaue Ausmaß kann durch Einsetzen entsprechender Werte für p und q in (9) ermittelt werden.

Folgende Aufgabe ist eine interessante Übung für Studenten: Gesucht sind jene Werte von p, welche maximale bzw. minimale Werte für p* ergeben. Das Ergebnis lautet: p* erreicht einen maximalen Wert von 0,0295 bei p=0,347 und einen minimalen Wert von -0,0295 bei p=0,653.

Ein Wert von 0,65 für p ist im professionellen Tennis nicht unüblich. Dies würde bedeuten, dass ein Spieler unter der neuen Regel 80% der Spiele bei eigenem Aufschlag gewinnt im Vergleich zu 83% von früher.

3. Zu erwartende Dauer eines Spiels

Ist X die Zahl der Punkte, die in einem Spiel ausgespielt werden, dann ist die zu erwartende Zahl der Punkte (und somit die zu erwartende Dauer eines Spiels) gegeben durch



(10)

Wenn man (1) bis (5) und (10) benützt, erhält man für die zu erwartende Zahl der Punkte, E(X alt), nach der alten Regel



(11)

Nach der neuen Regel erhält man



(12)

Es ist intuitiv klar, dass der Wert von E(X neu) nicht den Wert von E(X alt) überschreitet, egal welchen Wert p hat. Der genaue Wert der Reduktion in E(X) ist



(13)

Es kann gezeigt werden, dass der Ausdruck (13) einen maximalen Wert von 0,9375 erreicht, falls p=0,50, d.h. für ein Spiel, in welchem jeder der beiden Spieler der Erwartung nach die Hälfte der Punkte gewinnt, ist die zu erwartende Verkürzung der Dauer eines Spiels größtmöglich und beträgt knapp einen Punkt.

4. Anmerkungen

Alle Ausdrücke weiter oben folgen direkt aus den Grundregeln für Wahrscheinlichkeiten und aus den getroffenen Annahmen. Studenten sollten gefragt werden, ob sie diese Annahmen für vernünftig halten, und, welche Auswirkung diese Regeländerung hat auf ein Match, bei dem drei Gewinnsätze vereinbart sind.

Eine andere, interessante Übung besteht darin, die Ausdrücke in (9) und (13) als Funktion von p zu zeichnen, um damit ein klares Bild des Effekts der neuen Regel für verschiedene Werte von p zu erhalten.


Dr. John S. Croucher
School of Economic & Financial Studies, Macquarie University, North Ryde
New South Wales 2113, Australia