© Information: Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, Abteilung Kultur
Pergamentcodex 1449, 145 Folien, Ledereinband mit Blindprägung, 37,5 x 61 (aufgeschlagen) x 8 cm
|
Unzählige Male wurde das österreichische Wappenblatt abgebildet, so als sei es ein Einzelstück und nicht Teil einer umfangreichen Handschrift. Das Entzücken über die prunkvoll ausgestattete Wappenfolge, aus der der Bindenschild mit seinem Perlenstreifen noch besonders hervorsticht, hat aber nicht zu einer gründlichen wissenschaftlichen Aufarbeitung in Kooperation von Geschichte und Kunstgeschichte geführt. Erst 1993/1994 hat Michaela Krieger die insgesamt 4 Wappenkompositionen aus kunsthistorischer Sicht eingehend analysiert und dabei die im wahrsten Sinn des Wortes einzigartige Qualität des anonymen Künstlers hervorgehoben. Nun wissen wir zumindest, welch außergewöhnliches Denkmal der Buchmalerei sich der 30-jährige König setzen ließ. Als Besitzer und Auftraggeber ist er eindeutig durch sein persönliches Zeichen, die von einer Schlinge eingerahmten fünf Vokale wie durch die Jahreszahl 1446 identifiziert (im 15. Jahrhundert wird die Ziffer 4 als halbe Acht wiedergegeben).
Das Bild der österreichischen Wappenschilde ist das zweite der Serie und wird in der Kostbarkeit der Ausführung durch dasjenige des Römischen Königs übertroffen. Der höchsten Würde entspricht die in mehreren Perlenreihen erstrahlende Umrandung des einköpfigen Königsadlers, deren strenge Geschlossenheit sich umso betonter von den spielerisch wuchernden Rosenzweigen abhebt. In der "Österreich-Trilogie" verzichtet der Künstler auf seitlich emporstrebende, Rosenblüten tragende Stiele. Alle fast gleich großen Blätter und alle nahezu im selben Stadium des Aufblühens gemalten Nelkenblüten vermitteln Ruhe und Ausgeglichenheit, die mit den wild bewegten Wappendecken extrem kontrastieren. Der stark perspektivisch wirkende Rahmen ist in Abständen mit je vier zur Blütenform zusammengeschlossenen Perlen besetzt. Hier scheinen die leicht geneigten Schilde mehr in den Raum gestellt, die leuchtenden Farben rot-perlweiß-rot treten kräftiger aus dem begrenzenden Rahmen, der von den Wappenformen gesprengt wird. Gegenüber der überlegenen kompositorischen Gestaltung dieser beiden Wappenbilder sinkt die malerische Sorgfalt des dritten und vierten deutlich ab. Da allerdings fünf innerösterreichische und sechs vorderösterreichische Wappen wiedergegeben werden müssen, bleibt bei annähernd gleicher Größe der Schilde kaum Platz für Dekorelemente. Vielleicht sollte die Arbeit auch rascher abgeschlossen werden. Die flüchtigere Ausführung zeigt sich speziell bei der leicht geschrägten und aus der Symmetrie gerückten Leiste des AEIOV unterhalb der Wappen von Kiburg, Pfirt und Elsaß.
Die Wappenreihen bilden die Titelblätter für gruppenweise zusammengefaßte Urkundenabschriften. Das Kapitel "Römischer König" z.B. schildert den modus procedendi bei der Krönung "regis Alemannie" mit Musikbeispielen und bringt eine Abschrift der Goldenen Bulle Karls IV. Ein aus zarten roten Federstrichen skizziertes Krönchen mit den Buchstaben F[ridericus] R[ex], der Jahreszahl 1449 und der Vokalfolge setzt den Endpunkt.
Die umfangreichste Urkundensammlung schließt an das österreichische Titelblatt an mit u.a. dem Komplex der sogenannten österreichischen Freiheitsbriefe (siehe "Privilegium maius"), Privilegien und Lehensurkunden der Kaiser für die Habsburger, Teilungsverträgen habsburgischer Brüder oder dem Testament Herzog Albrechts II. Hier wird aber bereits das Prinzip der Zuordnung zum Wappenbild durchbrochen, denn dem Verzeichnis aller Stände in Steier, Kärnten und Krain wird nicht die dazugehörige Wappentafel vorangesetzt. Sie findet sich erst wie auch die vorderösterreichische nach mehreren leeren Blättern, keine einzige Urkunde wird eingetragen.
Der voluminöse Pergamentband ist somit ein Handbuch mit den wichtigsten Dokumenten zur Regierungstätigkeit des Königs und Herzogs. Daß er es auch benützte, beweist die eigenhändige Überschrift auf folio 69r: "mein kunig f verschreiben gen die landschafft ...". Der Einband der Entstehungszeit wurde im dritten Viertel des 16. Jahrhundert ausgewechselt. Der Reverslederdeckel läßt Spuren von Einschwärzung der geprägten Renaissancemuster erkennen.
Christiane Thomas
Gehe zu: Privilegium maius (1358/1359) als Erweiterung des Privilegium minus, 1156 September 17
|