Schätze aus der Latrine

Schätze aus der Latrine

In: Schauplatz Mittelalter Friesach. Kärntner Landesausstellung 2001. Bd. II: Katalog (Die Stadt im Mittelalter. Eine kulturhistorische Ausstellung im Fürstenhof zu Friesach 2001). Herausgegeben vom Land Kärnten. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Günther Hödl. Redigiert von Barbara Maier. – Klagenfurt: Amt der Kärntner Landesregierung, Abteilung Kultur 2001. 311. 8°. Objekt-Nr.: 14.05.03, S. 301.

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Schätze aus der Latrine

© Grazyna Nawrolska, Elbing

Die Archäologie von Elbing
Mittelalterliche Latrinen sind für die archäologische Wissenschaft wahre Schatzgruben. In den tiefen Schichten verbirgt sich reiches Fundmaterial in gutem Zustand. Der feuchte Untergrund begünstigt besonders auch für organische Substanzen die langfristige Erhaltung des Gegenstands. Latrinen, deren Schächte zunächst aus Erde, später aus Holz hergestellt sind und ab dem 12./13. Jahrhundert gemauert werden, dienen nicht nur zur Aufnahme von menschlichen Exkrementen, sondern sind Gruben für Abfälle aller Art, von Nahrungsresten bis zu zerbrochenen Gläsern und Küchengeschirr. Zuweilen fällt einem Abortbenützer auch etwas aus der Hosentasche, oder er verliert seinen Gürtel.
Die vielfältigen Funde der archäologischen Forschungen in Elbing zeugen von der Pracht der alten Hansestadt. Sie bieten tiefe Einblicke in die "unaufgeschriebene" Geschichte, in die Welt der Gegenstände, in die alltäglichen Sachen und Dinge und damit in die Lebenswelt der Frauen, Männer und Kinder einer mittelalterlichen Stadt.
Elbing (Elblląg) wurde 1237 im Zuge der ersten militärischen Erfolge des Deutschen Ordens bei der Eroberung des Prußenlandes gegründet und war eine Zeit lang der wichtigste Sitz des Ordens in Preußen. Die Stadt ist also mehr als 750 Jahre alt und in geschichtlicher wie archäologischer Hinsicht von europäischem Interesse. Auf der Fläche, die bei der Gründung zur Verfügung stand und bebaut werden sollte, wurden mit Kirche (Pfarrkirche St. Nikolai) und Dominikanerkloster, Rathaus und Markt, Tuchhallen und Gewerbe- wie Wohnbauten in sechs Straßenzügen nach Lübecker Muster die religiösen, politischen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Einwohner befriedigt. Es entstand damit eine sehr stimmungsvolle mittelalterliche Stadtarchitektur, aus der die Kirche, die Rathausfront, die Tuchhallen und die mit roten Mauerziegeln errichteten Wohnhäuser besonders herausragen; daneben gab es eine ganze Reihe von niedrigen Holzgebäuden verschiedener Konstruktionsweise und Funktion, wie etwa die Krämerläden rund um die Pfarrkirche. Die archäologischen Forschungen geben Auskunft über die soziale Zusammensetzung der Einwohnerschaft, die beruflichen Strukturen und die Funktionen der einzelnen Teile der zu den größten Städten des Ordenslandes und zur Hanse gehörenden Handelsstadt, die bis zur Eroberung Danzigs 1309 der bedeutendste Hafen Preußens war. Ihre Archäologie lässt das unverwechselbare hanseatische Klima erspüren, die Schicksale und Lebensbedingungen ihrer Menschen ebenso wie ihren Kampf um Autonomie, welcher sie zu wachsendem Widerstand gegen den Deutschen Ritterorden anspornte.


Grazyna Nawrolska