„Trotz des etruskischen
Stempels, der dem Gemeinwesen sein Gepräge gab, wurde der Grundstock der
Gesamtbevölkerung durch die ältere indo‑europäische Komponente bestimmt,
es dürften lediglich einzelne etruskische Familien zugezogen sein. Der
Gesellschaftsaufbau in der Stadt wurde schon früh von den Vorstellungen
und der Macht einer starken Adelsschicht geformt. Dagegen ist unklar,
wie umfassend die Machtbefugnisse des Königs, des rex, der an der Spitze
des Stadtstaates stand, wirklich waren. Es läßt sich jedenfalls nicht
ausschließen, daß sie im Zuge einer gesamtetruskischen Entwicklung sehr
stark eingeschränkt wurden. Die führende Gesellschaftsschicht setzte sich
jedenfalls aus den Angehörigen eines Erbadels, der gentes,der Geschlechter,
zusammen.
Schon in der Königszeit
bestand der Senat als Versammlung der Häupter der Adelsfamilien, die
später mit dem Wort patricii bezeichnet wurden. Politisch‑militärisch
aber war das frühe Rom in drei große Verbände, die Tribus der Ramnes,
Tities und Luceres, aufgegliedert, somit in Einheiten, die etruskische
Namen führten. jede Tribus bestand aus zehn Kurien oder Männervereinigungen;
unter den curiae standen dann die gentes, die Sippen, Geschlechter,
Großfamilien oder Clans, darunter endlich die Einzelfamilien.
Entsprechend war
die militärische Organisation aufgebaut. Jede Kurie stellte eine, jede
Tribus somit zehn Hundertschaften Fußvolk auf, so daß ein populus, ein
Gesamtfußvolk von insgesamt 3000 Mann zusammenkam, das in analoger Weise
durch eine Adelsreiterei von 3oo equites oder celeres ergänzt wurde.
Es folgt daraus, daß populus im engeren Sinne das militärisch organisierte
Fußvolk der Bürgerschaft bezeichnete, die enge Beziehung dieser Definition
zu einer auch politisch wirksamen Heeresversaminlung ist evident. Daneben
schälen sich die Kurien als politisch bedeutsamste Verbände heraus.
Sie bilden die Grundeinheit, nach der sich anfänglich die Gemeinde konstituierte,
sie leisteten den Huldigungseld auf den König, und sie übertrugen den
Obermagistraten ihre Befehlskompetenz, ihr imperium.
Wichtiger als
der Schematismus dieser Organisation wurde indessen der Gegensatz zwischen
dem Patriziat, dem Adel, und der Plebs, der Masse des Volkes. Der Adel
war als Geburtsadel ursprünglich eine nach unten hermetisch abgeschlossene
Schicht, die wohl durch Adlige aus anderen Städten ergänzt wurde, die
jedoch grundsätzlich keine Ehen mit nichtadligen Römern duldete. In
den Händen dieser Adelsschicht befanden sich zunächst alle wesentlichen
politischen, aber auch religiösen Rechte. Ursprünglich waren die Adelsgeschlechter
zudem sowohl durch das Zusammenwohnen als auch durch gemeinsame Kulte
verklammert. Und schon von Beginn an zählten zur jeweiligen gens auch
die clientes, die juristisch zwar freien, wirtschaftlich und gesellschaftlich
jedoch abhängigen Bürger in weitestm Umfang.
Die
Grundlinien der Gesellschaftsstruktur des archaischen Roms werden durch
spezifisch römische Phänomene bestimmt: erstens durch die Familie, die
Grundeinheit der römischen Gesellschaft, zweitens durch die Institution
der Klientel. Die römische Familienstruktur ist durch die kompromißlose
Machtstellung des männlichen Familienvorstandes, des pater familias,
charakterisiert, eine Machtstellung, die sich im juristischen Bereich
ebenso dokumentiert wie im wirtschaftlichen oder kultischen. Der pater
familias hatte ursprünglich gegenüber allen Familienangehörigen das
Recht über Leben und Tod; er konnte die eigenen Kinder als Sklaven verkaufen.
Ihrem Wesen nach war die römische Familie in den Anfängen eine konsequent
organisierte bäuerliche Lebens‑ und Hausgemeinschaft. Für die
Kinder entsprach das Verhältnis der religiös sanktionierten Bindungen
gegenüber den Eltern jenem der Beziehungen zwischen Menschen und Göttern.
Es wurde jedenfalls mit demselben Begriff, der pietas, bezeichnet.
Noch wichtiger
für das Verständnis der römischen Sozialordnung ist indessen die Institution
der Klientel. Sie setzt auf der Seite des Schwächeren, des cliens,
die grundsätzliche Anerkennung einer Abhängigkeit voraus, auf der Seite
des Stärkeren, des patronus, eine bewußte Übernahme von Verantwortung
für den Schwächeren, somit die Übernahme einer Hilfs- und Schutzfunktion,
die gleichzeitig den Verzicht auf die rücksichtslose Ausnutzung der
eigenen Stellung gegenüber dem Abhängigen in sich schloß. Das Treueverhältnis,
das in solchen Fällen bestand, wurde als fides bezeichnet. Den Klienten
verpflichtete es zur Leistung der Aufwartung, zur Teilnahme im Gefolge
beim Auftreten des Adligen in der Öffentlichkeit, in besonderen Fällen
auch zu materiellen Leistungen. Auf der andern Seite war jedoch auch
der Patron in mannigfaltiger Weise zum Eintreten für den cliens verpflichtet,
nicht zuletzt vor Gericht. Das Treueverhältnis war demnach wechselseitig;
nach dem Zwölftafelrecht galt ein Patron, der seinen Klienten betrog,
als geächtet.
Angesichts
der Überlieferungslage ist eine eindeutige Klärung der Entstehung der
Klientel nicht möglich. Die Differenzierung von Grundbesitz, Reichtum,
Einfluß und Macht, das Absinken freier Bauern in die Abhängigkeit,
die Zuwanderung von Handwerkern, die Überlassung von Ackerland als
jederzeit widerrufbarem Nutzungsobjekt werden zumeist als Erklärungsmodell
angeboten. Versuche, die wirtschaftliche Komponente im Klientelverhältnis
zu negieren, können kaum überzeugen; es ist im Gegenteil eher anzunehmen,
daß gerade Bewußtsein und Eingeständnis wirtschaftlicher Abhängigkeit,
die sich in der familienbezogenen frühen Subsistenzwirtschaft sehr
schnell ergeben konnten, am Anfang der Institution standen. Eine zweite
Voraussetzung liegt im juristischen Bereich, denn die Vertretung des
Rechts der Klienten durch den Patron war schon deshalb unumgänglich,
weil der Klient in der Frühzeit seine Rechte ohne Beistand des Patrons
im regulären Rechtsverfahren faktisch überhaupt nicht geltend machen
konnte.
Es handelt sich
bei der Klientel demnach ursprünglich um direkte, dauernde persönliche
Bindungen von Person zu Person, Familie zu Familie, Bindungen, die auch
vererbt wurden, das heißt auf beiden Seiten jeweils mit allen Rechten
und Pflichten auf die nächsten Generationen übergingen, wenngleich,
zum Beispiel bei den Freigelassenen, nicht immer mit derselben Intensität,
mit der sie einst begründet worden waren. Das Verhältnis von Adelsfamilie
und Klientel erreichte oft die Relation von 1 : 10. Nach einer Angabe
des Livius wies beispielsweise die gens Fabia im Jahre 479 v. Chr. bei
306 Angehörigen des Geschlechts (gentiles) nicht weniger als ca. 4‑5000
Klienten auf.
Die
Klientel blieb lange Zeit in ihrer ursprünglichen, fundamentalen Form
bestehen, doch traten dann parallel zum römischen Expansionsprozeß
und zur innenpolitischen Entwicklung Roms erhebliche Veränderungen
ein. War die Beziehung anfangs ganz Personal, so traten später Dörfer,
Städte und Könige in die Klientel einzelner römischer Aristokraten ein,
oft jener römischen Feldherrn, von denen sie unterworfen wurden und
die dann zu ihren Interessenvertretern im römischen Senat geworden waren.
Es kam auf diese Weise schließlich auch zu einer "Vermassung der
Klientelen" (j. Bleicken).
Nicht weniger
folgenschwer war die innenpolitisch bedingte Veränderung in der Zusammensetzung
des Kreises der patroni. Waren diese ursprünglich mit der geschlossenen
Gruppe der Patrizier identisch, so stießen im Verlauf der Ständekämpfe
des 5 . und 4. Jahrhunderts v. Chr. auch reiche Plebejer in diesen Kreis
vor, Bürger, die auf Grund ihrer materiellen Lage die Funktionen der
Aristokraten übernehmen konnten. Waren die patron1 anfangs ausschließlich
Großgrundbesitzer, so kamen später hervorragende Anwälte und Politiker
hinzu, zur Zeit der späten Republik auch die großen Heerführer. Bildete
das Netz der Klientelen anfangs ein polyzentrisches Abhängigkeitssystem,
so wurde es später einerseits immer weiter ausgedehnt, andererseits
auf die dominierenden Politiker und Heerführer reduziert, zuletzt im
Principat der Kaiserzeit gleichsam monopolisiert.
Die
Auswirkungen der Klientel auf die politische Willensbildung sind kaum
zu überschätzen. In der frühen und klassischen Republik war die Bindung
des Klienten an die Entscheidungen seines Patrons bei Wahlen und Abstimmungen
selbstverständlich. Durch diese Absorbierung des politischen Willens
der Klienten wurde indessen auch eine politische Zersplitterung verhindert;
in der Praxis nahmen die Patrone gleichsam die Stellung der modernen politischen
Parteien ein. Erst mit der Einführung der geheimen Abstimmung durch die
leges tabellariae des 2. Jahrhunderts v. Chr., das heißt in dem Augenblick,
als die Kontrollmöglichkeit bei der Stimmabgabe beseitigt wurde, begann
sich diese Bindung zu lockern und schließlich aufzulösen.“
Vgl.
Karl Christ, Die Römer. München 1994. S. 16 ff.