Wohnbauten

Innerhalb des rechtwinkligen Straßenrasters befanden sich die städtischen Wohnquartiere (insulae). Bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts wurden westlich des Forums, also im Stadtzentrum, zwei solche Insulae ergraben. Die insgesamt vier Bauperioden aufweisende, in ihrem architektonischen Konzept jedoch nicht vollständig geklärte Insula I, ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung.

1. In der Südwestecke des Wohnblocks befand sich ein mit einer Apsis im Westen geschlossener, luxuriös ausgestatteter Bau (13 x 8 m), der im Süden und Osten von einer Halle umgeben war. In der Vorhalle konnte ein 30 mē großes Dionysos-Mosaik ergraben werden. Dieser Umstand deutet darauf hin, daß wir es hier vielleicht mit dem Zentrum des Virunenser Dionysos-Kultvereines (Dionysos-Bacchus: Vegetationsgott) zu tun haben. Aus einer antiken Aufplanierung in der Insula I stammen auch die zahlreichen Bruchstücke von Götter und Heroenstatuen, die der Bildhauerwerkstatt des "Meisters von Virunum" zuzurechnen sind.

Die Bevölkerung der Stadt war natürlich auch vereinsmäßig organisiert. Diese Vereine (collegia) vertraten vielfach die wirtschaftlichen Belange von Berufssparten (etwa vergleichbar mit Innungen) und trugen u. a. auch für die ordnungsgemäße Bestattung ihrer Mitglieder Sorge (Bestattungsvereine). Kollegien erfüllten aber auch religiöse Aufgaben im Götter- und Kaiserkult und übernahmen oftmals die Agenden einer städtischen Feuerwehr. Ihre Vereinsveranstaltungen hielten sie in eigenen Lokalen oder gar Gebäuden ab, die scholae genannt wurden. Wir kennen auch den Namen eines Virunenser Jugendbundes (collegium iuvenum), der in einem "die Manlia" genannten Gebäude zusammenkam und sich daher auch als collegium Manliensium bezeichnete.

2. Der Nordwesten der Insula wurde von einem 1062 mē großen Privatbad besetzt, welches der gesamten Insula eine Bezeichnung als "Bäderbezirk von Virunum" eintrug. Um die Virunenser Thermen, deren Lokalisierung noch nicht geklärt ist, kann es sich dabei jedoch sicher nicht gehandelt haben. Grundsätzlich muß jedoch in Virunum von der Existenz mindestens einer Therme ausgegangen werden. Ein solcher öffentlicher Baukomplex konnte neben den Sanitärbereichen (Umkleideraum, Warmwasser-, Kaltwasser- und Dampfbädern, Ruheräume) auch Stätten für kulturelle (Bibliotheken, Galerien) und sportliche Aktivitäten (Sportplätze, Gymnastikhallen) umfassen. Thermen waren unerläßlich in jeder römischen Stadt; sie waren nicht nur ein hygienischer Standard, sondern hatten neben Einrichtungen wie Amphi- und Bühnentheater in der Bevölkerung auch den Stellenwert von Freizeitzentren.

An die Insula I schießt im Norden ein schmälerer Wohnblock an, der von den Ausgräbern seinerzeit als Insula IV bezeichnet wurde. Bei der Untersuchung dieses Gebäudekomplexes, bei dem wir es wohl mit dem Wohnsitz einer einzigen Großfamilie zu tun haben werden, konnten zwei Bauperioden festgestellt werden. Das Hauptgebäude war mit einer durchgehenden Fußbodenheizung ausgestattet und bestand aus zwei Apsidensälen, die durch einen Korridor getrennt waren. Westlich der beiden Apsiden schloß ein von kleineren Räumlichkeiten gefaßter Hof mit einem Brunnen an. In der Umbauperiode wird auch hier in den Peristylhof ein Privatbad eingebaut.

Seit im Jahre 1992 die systematischen Ausgrabungen in Virunum durch das Landesmuseum für Kärnten wieder aufgenommen wurden, können wir einerseits die Baubefunde der Altgrabungen im Stadtzentrum mit neuentdeckten Wohnbauten am Stadtrand direkt vergleichen. Andererseits erlauben es die modernen Grabungsmethoden, unter Zuhilfenahme von naturwissenschaftlichen Analyseverfahren, ein detaillierteres Bild von der urbanistischen, bauhistorischen und sozialen Entwicklung der Stadt nachzuzeichnen.

Bisher sind am westlichen Stadtrand von Virunum Teile von zwei durch einen Cardo (West-Ost-Straßenzug) getrennten Gebäudekomplexen näher untersucht worden. Das Gelände wurde noch zu Beginn des 2. Jhs. n. Chr. überwiegend agrarisch genutzt. Erst ab der Mitte des 2. Jhs. wird man überhaupt von einer flächendeckenden Verbauung in diesem Terrain sprechen können.

Die Insulaverbauung im Norden besteht auch hier wiederum aus einem großzügig angelegten Wohnbau mit Apsisschluß und zwei Nebenräumen sowie einem von gestaffelten Räumen umgebenen Hof. Die Nord-Süd-verlaufende Straße im Osten (Decumanus V/West) war zu diesem Zeitpunkt nur ein streckenweise geschotterter Weg.

Erst im frühen 3. Jh. wird der erwähnte Straßenzug durch eine westliche Begrenzungsmauer von den Wohnquartieren abgeteilt und mit einer verfestigten, schotter- und rollsteinbesetzten Fahrbahn versehen. Mit dem Neubau der Straße wird nunmehr auch das Areal südlich der Insula verbaut. Hier konnten vorerst sowohl verschieden große, beheizte Wohneinheiten, als auch Nutz- bzw. Arbeitsbereiche wie Höfe, ein Heizkeller mit Latrine und ein Trinkwasserbrunnen mit Marmorplatteneinfassung ergraben werden.

Der in den aufgedeckten Wohnquartieren am "Stadtrand" vorherrschende Lebensstandard unterschied sich nur unwesentlich von dem in den beiden Häuserblocks im Stadtzentrum und ist in jedem Falle als sehr gehoben einzustufen. So waren die weitläufigen Wohnbauten mit Fußbodenheizungen, Wandmalereien, Marmorplattenverkleidungen und guten Terrazzoböden ausgestattet. Die aus Brunnen- und Latrinenverfüllungen geborgenen Lebensmittelreste weisen ein reichhaltiges Nahrungsspektrum nach, das Erzeugnisse der heimischen Land- und Viehwirtschaft (Groß- und Kleintierhaltung, verschiedene Getreidesorten, Gartenobstsorten, Waldbeeren und Gewürze) und importierte Luxusgüter des adriatischen Raumes (Fischsaucen, Wein, Olivenöl, Austern) umfaßte.

Als den zentralen und repräsentativen Bereich der Virunenser Stadthäuser wird man die rechteckigen Apsisräume zu bezeichnen haben, die wohl die typischen Wohnbauten der Mittelschicht Virunums dargestellt haben werden. Dieser Wohnbautyp konnte jedenfalls in allen bisher untersuchten Wohnquartieren nachgewiesen werden (vgl. Abb. 12-14), wobei, die stets vorhandenen Nebenräume nicht miteingerechnet, allein die Grundfläche der Apsisräume im Durchschnitt schon 80 mē betrug.

Die bisher am Westrand der Stadt untersuchten Befunde und Funde geben uns doch mit einiger Deutlichkeit zu verstehen, daß Virunum wohl erst in spätseverischer Zeit (211 - 235 n. Chr.) seine größte Ausdehnung erlangt hatte. In dieser Zeit verzeichnen wir eine große Neubautätigkeit am Stadtrand und Restaurierungsmaßnahmen an öffentlichen Großbauten (Amphitheater (?), Theater, Isistempel), alles Indizien, die auf ein Bevölkerungswachstum bzw. auf einen Bevölkerungszuzug, jedenfalls aber auf ein blühendes, städtisches Gemeinwesen hindeuten.