RÖMERZEITLICHE TRACHT- UND BEKLEIDUNGSSITTEN IN VIRUNUM

Christian Gugl

Ein kurzer Überblick über die norisch-pannonische Tracht

Während der ersten Jahrhunderte n. Chr. entwickelte die einheimische Tracht in Noricum, Pannonien und im östlichen Rätien eine Reihe von spezifischen Charakteristika, die sie von den umliegenden Gebieten unterschied. Zeugnisse der norisch-pannonischen Tracht sind von der ungarischen Tiefebene, über den Ost- und Südostalpenraum bis in das obere Etschtal und das bayerische Alpenvorland allgegenwärtig. Die Wurzeln und Traditionen dieser Tracht reichen in das ausgehende 1. Jahrhundert v. Chr. zurück, also in eine Zeit, als im östlichen Alpenbogen das keltische Regnum Noricum sich noch seiner Unabhängigkeit erfreute. Es gibt kaum eine Region im gesamten Imperium Romanum, wo sich so kompakt und anschaulich sowohl über Bodenfunde als auch mit Hilfe von bildlichen Darstellungen die ortsübliche Bekleidung mit archäologischen Mitteln rekonstruieren läßt. Dies ist weder in der gallischen "Trachtprovinz", noch in Britannien und Spanien und auch nicht im Osten des römischen Reichs, beispielsweise im Falle der palmyrenischen Tracht in Syrien, in vergleichbarer Weise möglich.

Der hier verwendete Begriff Tracht erscheint nicht ganz unproblematisch: er wurde aus der Volkskunde übernommen, wo Tracht eine besondere Form von Kleidungsgewohnheiten meint, die nur unter bestimmten Voraussetzungen entsteht. Nach Auffassung der Volkskunde beruht Tracht auf sozialer und anlaßgebundener Differenzierung, die räumlich, historisch und wirtschaftlich bedingt sein kann (R. Gebhard). In unserem Zusammenhang versteht sich der Trachtbegriff synonym mit dem Terminus Kleidung, er ist also gegenüber dem Sprachgebrauch der Volkskunde in seinem Umfang wesentlich erweitert.

Die konstituierenden Elemente der Bekleidung sind einerseits organischen (Textilien, Leder) andererseits anorganischen Ursprungs (Metalle, Bein). Der Archäologe ist bei der Rekonstruktion der Tracht in der Regel auf Bodenfunde angewiesen, sodaß sich Aussagen zur Bekleidung nur auf Lagebeobachtungen an Kleinfunden aus Metall oder Bein in Skelettgräbern stützen können. Daraus resultiert, daß textile oder andere organische Bestandteile der Kleidung zwangsweise nicht gebührend berücksichtigt werden. In weiten Teilen des römischen Reichs wird die Situation durch die in den ersten beiden Jahrhunderten n. Chr. allgemein übliche Bestattungssitte erschwert: die Verstorbenen wurden nämlich in ihrer Tracht zusammen mit Speise- und Trankbeigaben sowie anderen Gegenständen verbrannt und bestattet. Abgesehen von wenigen aus dieser Zeit bekannten Körpergräbern sind somit keine Erkenntnisse zur Lage der Trachtbestandteile am Skelett möglich. Derartige Gräber des späten 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. hat es anscheinend aber auch im Umfeld von Virunum gegeben, wie wir aus einem Eintrag im Inventarbuch des Landesmuseums für Kärnten erahnen können, wo es zu einer im Jahre 1847 in Willersdorf gefundenen Doppelknopffibel (Inv.Nr. 1683) heißt: aus "zwei Grabgewölben mit zwei Skeletten auf den Wiesen Nr. 898, 1682, 1684; lag im Brustbereich der Skelette". Besser dokumentierte Beispiele für diese seltene Bestattungsweise kennen wir in Noricum noch aus Chatissa-Katsch, weiters mehrfach aus dem südlichen Rätien ("Heimstettener Gruppe") sowie aus Nagyvenyim im nordöstlichen Pannonien, dem Stammesgebiet der keltischen Eravisker. Im Grab 1 von Nagyvenyim lagen an beiden Schultern des weiblichen Skeletts je eine große bronzene Flügelfibel, die ursprünglich mit einer über die Brust geführten Perlenkette verbunden waren (Abb. 1). Neben dem Schädel fanden die Ausgräber sechs flache polierte Kieselsteine, wahrscheinlich Spielsteine, die einst in einer Tasche aus Stoff oder Leder aufbewahrt waren, sowie über der linken Schulter unweit der Schläfe einen im Durchmesser 2,3 cm großen Bronzeanhänger. Unterhalb des Beckens befand sich eine ovale Eisenschnalle mit wellenförmigem Dorn und im Fußbereich waren zwei Keramikgefäße deponiert worden.

Die Vielfalt der metallenen Trachtelemente aus Gräbern kann mit Hilfe von Siedlungsfunden erweitert werden, zu denen beispielsweise der einzigartige bronzene Brustschmuck einer Dame der norischen Oberschicht, gefunden in der Stadt auf dem Magdalensberg ("Alt-Virunum"), zu rechnen ist (Abb. 7). Größere, reich verzierte Flügel- und Doppelknopffibeln, mehrheitlich aus Bronze, weitaus seltener in Silber oder Gold, sind in der Regel unter den Siedlungsfunden nicht allzu häufig, da – auch bei Bronzeexemplaren – der Materialwert dieser Objekte beträchtlich war und sie deswegen nach irreparabler Beschädigung wenn möglich wieder eingeschmolzen wurden.

In den Provinzen Noricum und Pannonien sind bildliche Darstellungen der Verstorbenen auf Grabmonumenten, die wohl ursprünglich meist bunt bemalt waren, eine willkommene Ergänzung, um mehr über die textilen Elemente der Tracht und die Funktion der Metallbestandteile in Erfahrung zu bringen (Abb. 2-3).

Die vielfach auch künstlerisch sehr anspruchsvollen Darstellungen zeigen die Norikerinnen in einem langärmeligen, bis an die Knöchel reichenden, manchmal auf der Brustmitte mit einer kleinen Fibel verschlossenen Untergewand aus einem offenbar dünneren Stoff. Darüber trugen sie ein festeres, ärmelloses Obergewand, das an den Schultern durch je eine größere Fibel verschlossen wurde. Um die Körpermitte hielt ein mit Zierbeschlägen und einem Gehänge versehener Ledergürtel das Gewand zusammen. Eine zusätzliche dekorative Wirkung erzielten Hals- und Armringe, Halsketten und Fingerringe. Eine ältere norische Dame auf einem Grabmedaillon in Lendorf bei Klagenfurt (Abb. 3) trägt als Besonderheit einen ausgefallenen Brust- und Halsschmuck: die breite Halskette ist reich mit Miniaturgefäßen, Zierscheiben und einem zentralen Lunula-Anhänger verziert. Das mehrgliedrige Collier weist mehrere dekorierte Scheibenfibeln oder Zierscheiben sowie Pendilien auf. In der norisch-pannonischen Frauentracht war auch eine Kopfbedeckung üblich, angefangen von regional verschiedenen Haubenformen bis hin zur für Virunum typischen Modiusmütze, einer zylindrischen, nach oben sich verbreiternden Rundmünze aus Leder, Pelz oder Filz, die wie bei der Dame aus Lendorf mit einem Schleier getragen wurde. Sehr beliebt waren sogenannte norische Hauben, die aus einem viereckigen Tuch bestanden, das diagonal zusammengeklappt und zusammengerollt und dann mit beiden Enden am Hinterkopf fixiert wurde.

Im Gegensatz zu den Frauen mit ihrer keltisch-norischen Landestracht repräsentierten sich die Männer auf den Grabmonumenten häufiger in Toga gekleidet als römische Bürger. Derartige für die Nachwelt geschaffene Grabdenkmäler geben zwar einen guten Einblick in das statusbewußte Selbstverständnis der römischen Oberschicht im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr., aber für die Rekonstruktion der Alltagstracht eines Großteils der männlichen Bevölkerung bieten sie keine große Hilfestellung. Auf den wenigen bildlichen Denkmälern ist ersichtlich, daß die in einheimischer Tracht gekleideten Männer in der Regel ein tunica-artiges Gewand und einen Umhang (sagum) trugen. Der ärmellose Umhang wurde auf der rechten Schulter von einer Fibel – meistens war es eine Scheibenfibel – zusammengehalten.

Einige Worte zur Virunenser Regionaltracht

Im norisch-pannonischen Raum ist es mittlerweile möglich, die von den Grabdenkmälern, aus den Gräbern und Siedlungen bekannten Trachtbestandteile erstaunlich gut chronologisch und geographisch zu differenzieren. In Noricum sind es vor allem die Stadtterritorien von Virunum, Iuvavum und Flavia Solva, für die sich ein typisches Trachtensemble zusammenstellen läßt.

Eine wichtige Rolle spielen dabei die überwiegend in Bronze gegossenen Fibeln. Die Mehrzahl der Doppelknopffibeln (Abb. 4,1; 8,2), benannt nach den beiden Verdickungen auf dem Bügel, hatten einen rahmenartig durchbrochenen Fuß. Bei früheren Exemplaren des 1. Jahrhunderts n. Chr. findet man meist eine einfache Durchbruchszier in Form von siebartiger Lochung. Weit aufwendiger dekoriert waren Flügelfibeln (Abb. 4,2), deren Name sich von zwei kleinen "Flügeln" zu beiden Seiten des Bügelknopfs herleitet. In besonders reicher Durchbruchsornamentik verzierte man den Fibelfuß, der mit einer Kombination von Kreisen, Quadraten, Fischblasen und Winkel, ferner zusätzlich mit aufgenieteten Rosetten versehen war. Mit Punktpunzen und dem Gravierstichel wurden darüber hinaus gelegentlich der Bügel, der Nadelhalter und der Fuß dekoriert. Vor allem größere Flügelfibeln boten zwischen Bügel und Nadel genügend Platz, um paarweise an der Schulter getragen auch den Stoff schwererer Gewänder zu fassen (Abb. 1–2).

Von den bisher über 20 Varianten dieses Fibeltyps sind auch einige regionale Sonderformen bekannt, die eine Länge von bis zu 21 cm erreichen können. So kennen wir aus Virunum zum Beispiel eine 15,7 cm große, bronzene Flügelfibel (Abb. 4,2), die sich eindeutig von den zur gleichen Zeit ansonsten in Virunum üblicherweise getragenen Fibeln unterscheidet. Die vier auf den Flügeln angenieteten Zierelemente dieses Fibeltyps (Typ Almgren 238 f) sind in der Zeit um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. geradezu typisch für die Region um Iuvavum und das angrenzende Rätien. Weil Flügelfibeln für bestimmte Regionaltrachten kennzeichnend sind, ist es naheliegend, darin einen Nachweis einer aus Nordwestnoricum oder dem nördlichen Rätien eingewanderten oder durchreisenden Frau zu sehen. Somit stellen Fibeln eine erstrangige archäologische Quelle für das Studium der Bevölkerungsmobilität und der Bevölkerungszusammensetzung dar.

Eine Besonderheit in den südlichen Landesteilen Noricums sind die sogenannten Einknotenfibeln (Abb. 5). Diese Gewandschließen sind 4 – 9,5 cm groß und wurden mehrheitlich in Bronze, selten auch in Silber hergestellt. Eine massive rechteckige Stützplatte dient als Schutz für die achtfach gewundene Spirale, aus der sich die Nadel entwickelt, mit der der Verschluß der Fibel hergestellt wird. Einknotenfibeln besitzen wie die Mehrzahl der Doppelknopf- und Flügelfibeln eine eingliedrige Spiralkonstruktion, d. h. Spirale und Nadel wurden vom Handwerker beim Guß grob als Fortsatz am Kopf der Fibel mitgegossen und danach von der Stützplatte ausgehend in Feinarbeit ausgeschmiedet (vgl. Abb. 8). Der kräftig gebogene Fibelkopf mit seinem halbrunden Querschnitt wird durch einen scheibenförmigen Bügelknopf vom langen, gestreckten Fuß getrennt. Der hohe, meist trapezförmige Nadelhalter ist zuweilen vergleichbar den norisch-pannonischen Flügelfibeln durch ein kompliziertes Durchbruchsornament (opus interrasile) aus blasen-, tropfen- und sternartigen Motiven gegliedert und mit einem eingeritzten Wolfszahnmuster verziert.

In Unterkärnten sowie im Murtal, beginnend vom Aichfeld bis ins Leibnitzer Feld, kamen Einknotenfibeln immer wieder als Gewandverschluß zum Einsatz. Man trug sie aber auch im Hinterland von Flavia Solva und in den angrenzenden Stadtgebieten von Celeia und Poetovio, im heutigen Nordostslowenien. Im gesamten Alpenbogen gehören sie damit zu jenen römischen Fibeln, die in einem geographisch doch eng begrenzten Raum während des fortgeschrittenen 1. und früheren 2. Jahrhunderts n. Chr. getragen wurden.

Eine faszinierende Gestalt besitzen ostalpine Tierkopffibeln (Abb. 4,3), die ebenfalls in die Frühzeit Virunums gehören. Bei ihnen wächst der langgestreckte Fibelfuß aus einem beißenden Tierkopf heraus. Als Allerweltsformen könnte man kräftig profilierte Fibeln bezeichnen, die in großen Mengen, mehrheitlich in Bronze, in unterschiedlichen Größen und Varianten für den alltäglichen Gebrauch in zahlreichen Siedlungen Noricums und auch außerhalb der Provinz produziert wurden. Das Formenspektrum reicht von frühen Ausprägungen des 1. Jahrhunderts n. Chr. mit mehrfach durchlochtem Nadelhalter (Abb. 4,4) bis zu Spätformen mit massivem, erhöhtem Nadelhalter (Abb. 8,3). Zu den jüngsten kräftig profilierten Fibeln zählen Exemplare mit hohem, oft stark gekrümmtem Fibelkörper, welcher einen vier-, seltener fünffach profilierten Bügelknopf und einen langgestreckten, häufig leicht geschwungenen Fuß mit aufwärts geneigtem Endknopf besitzt (Abb. 8,1). Roh- und Fehlgüsse deuten darauf hin, daß solche Fibeln zumindest im ostnorischen Vicus von Gleisdorf und in Virunum produziert wurden.

.Im späteren 2. und im 3. Jahrhundert n. Chr. kamen stattdessen Kniefibeln in Mode, deren Kopfplatte und Nadelhalter mit eingepunzten Kreisaugen und Wolfszahnmuster verziert war (Abb. 4,5; 8,4).

In der norisch-pannonischen Frauentracht von besonderem Interesse ist neben den Fibeln der überaus üppige Gürtel, der sich anhand der bildlichen Darstellungen (Abb. 2) und mit Hilfe von Original-stücken in Gräbern und Siedlungen rekonstruieren läßt. Die kanonischen Metallbestandteile des Ledergürtels umfaßten eine Schließe mit einem oder zwei Endknöpfen, mehrere Beschläge mit Durchbruchsverzierung, die sich von spätlatènezeitlichen Dekorsystemen ableitet, ferner zwei Riemenzungen für das herabhängende Gürtelende sowie mehrere sogenannte Entenbügel, kahn- und spindelförmige Riemenversteifungen und Buckelnieten.

In der norischen Grabplastik gibt es einige Beispiele wie die Norikerin auf dem Lendorfer Porträtmedaillon (Abb. 3), die ihren reichen Brustschmuck zur Schau stellte. Eine gute Vorstellung davon vermittelt ein Originalfund aus der Stadt am Magdalensberg, der Vorgängersiedlung der späteren Provinzhauptstadt Virunum (Abb. 7). Der Brustschmuck besteht aus mehreren bronzenen Gliederketten, die mittels Fibeln verbunden und am Gewand befestigt waren. Es handelt sich dabei einerseits um verzinnte bzw. versilberte Scheibenfibeln in Rad- oder Rosettenform und andererseits um Hülsenscharnierfibeln mit halbkreisförmig gebogenem Bügel (Aucissa-Fibeln). Auffällig sind besonders letztere, da sie in der norischen Tracht keine allzu große Akzeptanz besaßen, während erstaunlicherweise zeitgleiche, in ihren Ursprüngen ostalpine Fibeltypen – wie die bereits erwähnten kräftig profilierten Fibeln oder Tierkopffibeln – beim Magdalensberger Brustschmuck keine Verwendung fanden.

Gerade die Bronzefibeln an diesem Brustschmuck wären ein gutes Beispiel, um Fremdeinflüsse in der norischen Tracht zu diskutieren, die besonders in der Provinzhauptstadt am ehesten zu erwarten sind. Das Virunenser Fibelspektrum erweckt ansonsten den überwiegenden Eindruck einer relativ geschlossenen, inneralpinen Formenwelt. Deutliche Berührungspunkte bestehen zu den Tracht- und Bekleidungssitten im Territorium von Flavia Solva, das aber nachweislich mehr Anregungen aus dem pannonischen Raum erhielt. Das flavische Munizipium Solva pflegte, wahrscheinlich schon aufgrund der geographischen Gegebenheiten, weitaus engere Kontakte wirtschaftlicher Natur zu den Nachbarstädten Poetovio und Savaria, während der Verwaltungsbezirk von Virunum, das ehemalige Kernland des keltischen Regnum Noricum, einen von Gebirgsketten abgeschlossenen Raum darstellte.

Fibelproduktion in Virunum

In Virunum selbst sind bisher keine Werkstätten, die Buntmetall verarbeiteten, ergraben worden. Erklären läßt sich diese Situation mit der spezifischen Forschungsgeschichte Virunums. Der Schwerpunkt der Grabungen beschränkte sich im wesentlichen auf die zentralen Stadtbereiche, wie das Forum, das Kapitol und den sogenannten "Bäderbezirk" sowie auf herausragende Großbauten (Bühnentheater). Die Erforschung von Handwerkervierteln wurde bisher vernachlässigt. Entsprechende Handwerksbetriebe mit Einrichtungen zum Guß von Buntmetall – häufig oft nicht viel mehr als Arbeitsnischen mit kleinen Schmelzöfen und Werkplätzen für die Nachbearbeitung der Rohgüsse, wie sie vor allem vom Magdalensberg, aber auch aus Teurnia bekannt sind, – wird man sicherlich auch in Virunum voraussetzen können.

Schon die Untersuchungen Fritz Pichlers in den Jahren 1881-1883 erbrachten den Nachweis von bronzeverarbeitenden Werkstätten in Virunum, in denen Fibeln hergestellt worden sind. Mehrere Rohgüsse wurden geborgen und gelangten in das Kärntner Landesmuseum, ohne daß sich heute die genaue Fundstelle innerhalb des Stadtgebiets von Virunum ermitteln ließe. Der Großteil der vorhandenen Fibelfunde ist den Aktivitäten von Metallsondengängern zuzuschreiben (Abb. 8): in Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt wurde zwischen 1983 und 1990 der Versuch unternommen, am Südwestrand Virunums auf einer Fläche von rund 6 ha die Einwirkungen der ortsüblichen landwirtschaftlichen Nutzung auf die Bodendenkmäler festzustellen und nachzuweisen. Dieses Unternehmen brachte sehr aufschlußreiche Einblicke in die Zerstörungsvorgänge auf bewirtschafteten Kulturflächen mit sich und führte klar vor Augen, daß ein dringender Handlungsbedarf der Denkmalpflege gegeben ist. Im Rahmen des Projekts konnten viele Fundstellen von Halbfabrikaten und Fehlgüssen dokumentiert werden, jedoch der für eine weiterführende archäologische Interpretation der Funde notwendige Befundkontext blieb dabei völlig außer Acht.

Gußnähte an der Ober- und Unterseite von zahlreichen Roh- und Fehlgüssen lassen den Schluß zu, daß in Virunum Fibeln vor allem in zweischaligen Tonformen in einer Technik gegossen wurden, die Erich Hudeczek "Guß in verlorener Form mit bleibendem Modell" genannt hat. Demnach wurde das wohl meist aus Blei bestehende Modell bis zur Hälfte in eine sandige Lehmmasse eingedrückt und nach kurzem Antrocknen die zweite Formhälfte darübergestrichen. Nachdem das Modell herausgelöst worden war, setzte man die beiden Formhälften wieder zusammen, verstrich die Seitennaht und schnitt, falls das Modell mit keinem Eingußzapfen versehen war, noch eine Eingußöffnung in die Form.

Entsprechende Tongußformen, die in Ovilava, Teurnia und besonders in Flavia Solva und am Magdalensberg zahlreich zutage getreten sind, fehlen in Virunum. Ausschlaggebend dafür ist vermutlich die Tatsache, daß bei von Laien durchgeführten "Oberflächenbegehungen" sich das Interesse in der Regel auf Metallfunde konzentriert, während zerbrochene, unscheinbare Tonmodel meist nicht als solche erkannt werden und deswegen keine Beachtung finden.

Die Gußmodelle sind im Gegensatz zu den Roh- und Fehlgüssen mit ihrer rauh belassenen Oberfläche geglättet und manchmal sogar poliert. An der Stelle, wo der Einguß in die Tonform erfolgen sollte, besitzen einige Modelle einen ebenfalls geglätteten Zapfen. Bei den kräftig profilierten Fibeln befindet sich der Gußzapfen immer am Kopf der Fibel, bei Kniefibeln hingegen kann es zuweilen vorkommen, daß der Einguß vom fußseitigen Ende der Fibel vorgenommen wurde.

Obwohl Hinweise auf Fibelherstellung zahlenmäßig bei weitem überwiegen, gibt es hin und wieder Gußabfälle die auf einen doch weiter gestreuten Produktionsumfang der Virunenser Gelbgießer hindeutet: darunter finden sich Hausrat, Teile vom Pferdegeschirr und nicht zuletzt eine Vielfalt an norischem Trachtzubehör. In diesen Zusammenhang gehört beispielsweise der Fehlguß einer Gürtelschließe mit zwei in Tierkopfform stilisierten Haken (Abb. 8,5). Die Produktion der Bronzegießer scheint also ganz auf den lokalen Bedarf hin ausgerichtet gewesen zu sein.

Während Gußabfälle ein eindeutiges Indiz für Fibelproduktion darstellen, kann über die Konzentration charakteristischer Fibelformen in einem Gebiet zumindest eine Herstellung auf regionaler Ebene wahrscheinlich gemacht werden. Innerhalb des eng umrissenen Vorkommens der Einknotenfibeln im südlichen Noricum ist eine Gruppe von Fibeln gesondert hervorzuheben, die weitgehende Übereinstimmungen in der Verzierung des Fibelkopfs und der Stützplatte, des Fußquerschnitts und der Verzierung des Nadelhalters aufweisen (Abb. 5). Besonders auffällig sind tiefe Kreisaugen auf der Stützplatte oder sogar auf dem in Dreiecksform abgeflachten Fibelkopf. Neben einem Altfund aus Feldkirchen findet man diese Kennzeichen bei zwei weiteren Vertretern aus Kärnten sowie bei zwei Exemplaren aus der Weststeiermark und einem Stück aus Colatio (Stari trg bei Slovenj gradec). Diese Fibelgruppe scheint sich somit auf das Stadtterritorium von Flavia Solva und in erster Linie auf den Verwaltungsbezirk von Virunum zu konzentrieren (Abb. 5). Gerade bei solchen diffizilen Verzierungsdetails, die jeweils am Fibelkopf bzw. auf der Stützplatte, angebracht wurden, kann man werkstattspezifische Eigenheiten erkennen, in denen sich die Handschrift eines Handwerkes am ehesten widerspiegelt. Deshalb wird man in diesem Fall wohl weniger von einer besonderen Abwandlung einer Regionaltracht sprechen können, sondern an die nahezu uniforme Produktpalette einer Werkstätte denken. Unter Umständen vorstellbar wäre auch, daß mehrere voneinander abhängige Hersteller tätig waren, die auf dieselben Vorbilder (Gußmodelle) zurückgriffen oder die Produkte des anderen kopierten und ihre eigenen Erzeugnisse im unmittelbaren Umland abgesetzt haben.

In Flavia Solva ist die Herstellung von Einknotenfibeln mit einem Roh- oder Fehlguß gesichert, in Virunum steht der Nachweis dafür noch aus. Doch wäre es keineswegs überraschend, wenn künftig auch eine buntmetallverarbeitende Werkstätte in der norischen Provinzhauptstadt entdeckt würde, die diese für Südnoricum charakteristischen Fibeln herstellte.

Literatur in Auswahl

J. Garbsch, Die norisch-pannonische Tracht. ANRW II 12.3 (Berlin/New York 1985) 546 ff.
J. Garbsch, Römischer Gewandschmuck in Bayern. In: Römischer Alltag in Bayern. Das Leben vor 2000 Jahren. Festschr. 125 Jahre Bayerische Handelsbank in München 1869-1994 (München 1994) 238 ff., bes. 250 f.
Ch. Gugl, Die römischen Fibeln aus Virunum (Klagenfurt 1995).
H. Heymans, Die Fibeln aus dem römerzeitlichen Vicus von Kalsdorf bei Graz. Fundberichte aus Österreich 36, 1997 (Wien 1998) 325 ff.
S. Ladstätter, Norische Tracht. In: F. Glaser (Hrsg.), Kelten – Römer – Karantanen. Kunstgeschichte Kärntens (Klagenfurt 1998) 163 f.
G. Piccottini, Ein norischer Brustschmuck vom Magdalensberg in Kärnten. Offa 37, 1980, 63 ff.
H. Sedlmayer, Die römischen Fibeln von Wels. Quellen u. Darstellungen zur Geschichte von Wels 4 (Wels 1995) 93 ff.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Alba Regia 1, 1960, 46 Abb. 4.
Abb. 2/3/7 U. P. Schwarz (Klagenfurt)
Abb. 4 Ch. Gugl (Klagenfurt)
Abb. 5-6 Kartengrundlage "Arbeitskarte Österreich" (Verlag FREYTAG-BERNDT und ARTARIA, Wien)
Abb. 8 M. Fuchs/O. Kladnik, FÖ 31, 1992 (1993) Abb. 3,1.11.14.17.21.