RÖMERZEITLICHE
TRACHT- UND BEKLEIDUNGSSITTEN IN VIRUNUM
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Ein
kurzer Überblick über die norisch-pannonische Tracht
Während
der ersten Jahrhunderte n. Chr. entwickelte die einheimische Tracht in
Noricum, Pannonien und im östlichen Rätien eine Reihe von spezifischen
Charakteristika, die sie von den umliegenden Gebieten unterschied. Zeugnisse
der norisch-pannonischen Tracht sind von der ungarischen Tiefebene, über
den Ost- und Südostalpenraum bis in das obere Etschtal und das bayerische
Alpenvorland allgegenwärtig. Die Wurzeln und Traditionen dieser Tracht
reichen in das ausgehende 1. Jahrhundert v. Chr. zurück, also in
eine Zeit, als im östlichen Alpenbogen das keltische Regnum Noricum
sich noch seiner Unabhängigkeit erfreute. Es gibt kaum eine Region
im gesamten Imperium Romanum, wo sich so kompakt und anschaulich sowohl
über Bodenfunde als auch mit Hilfe von bildlichen Darstellungen die
ortsübliche Bekleidung mit archäologischen Mitteln rekonstruieren
läßt. Dies ist weder in der gallischen "Trachtprovinz", noch
in Britannien und Spanien und auch nicht im Osten des römischen Reichs,
beispielsweise im Falle der palmyrenischen Tracht in Syrien, in vergleichbarer
Weise möglich.
Der hier verwendete
Begriff Tracht erscheint nicht ganz unproblematisch: er wurde aus der
Volkskunde übernommen, wo Tracht eine besondere Form von Kleidungsgewohnheiten
meint, die nur unter bestimmten Voraussetzungen entsteht. Nach Auffassung
der Volkskunde beruht Tracht auf sozialer und anlaßgebundener Differenzierung,
die räumlich, historisch und wirtschaftlich bedingt sein kann (R.
Gebhard). In unserem Zusammenhang versteht sich der Trachtbegriff synonym
mit dem Terminus Kleidung, er ist also gegenüber dem Sprachgebrauch
der Volkskunde in seinem Umfang wesentlich erweitert.
Die konstituierenden
Elemente der Bekleidung sind einerseits organischen (Textilien, Leder)
andererseits anorganischen Ursprungs (Metalle, Bein). Der Archäologe
ist bei der Rekonstruktion der Tracht in der Regel auf Bodenfunde angewiesen,
sodaß sich Aussagen zur Bekleidung nur auf Lagebeobachtungen an
Kleinfunden aus Metall oder Bein in Skelettgräbern stützen können.
Daraus resultiert, daß textile oder andere organische Bestandteile
der Kleidung zwangsweise nicht gebührend berücksichtigt werden.
In weiten Teilen des römischen Reichs wird die Situation durch die
in den ersten beiden Jahrhunderten n. Chr. allgemein übliche Bestattungssitte
erschwert: die Verstorbenen wurden nämlich in ihrer Tracht zusammen
mit Speise- und Trankbeigaben sowie anderen Gegenständen verbrannt
und bestattet. Abgesehen von wenigen aus dieser Zeit bekannten Körpergräbern
sind somit keine Erkenntnisse zur Lage der Trachtbestandteile am Skelett
möglich. Derartige Gräber des späten 1. und 2. Jahrhunderts
n. Chr. hat es anscheinend aber auch im Umfeld von Virunum gegeben, wie
wir aus einem Eintrag im Inventarbuch des Landesmuseums für Kärnten
erahnen können, wo es zu einer im Jahre 1847 in Willersdorf gefundenen
Doppelknopffibel (Inv.Nr. 1683) heißt: aus "zwei Grabgewölben
mit zwei Skeletten auf den Wiesen Nr. 898, 1682, 1684; lag im Brustbereich
der Skelette". Besser dokumentierte Beispiele für diese seltene Bestattungsweise
kennen wir in Noricum noch aus Chatissa-Katsch, weiters mehrfach aus dem
südlichen Rätien ("Heimstettener Gruppe") sowie aus Nagyvenyim
im nordöstlichen Pannonien, dem Stammesgebiet der keltischen Eravisker.
Im Grab 1 von Nagyvenyim lagen an beiden Schultern des weiblichen Skeletts
je eine große bronzene Flügelfibel, die ursprünglich mit
einer über die Brust geführten Perlenkette verbunden waren (Abb.
1). Neben dem Schädel fanden die Ausgräber sechs flache polierte
Kieselsteine, wahrscheinlich Spielsteine, die einst in einer Tasche aus
Stoff oder Leder aufbewahrt waren, sowie über der linken Schulter
unweit der Schläfe einen im Durchmesser 2,3 cm großen Bronzeanhänger.
Unterhalb des Beckens befand sich eine ovale Eisenschnalle mit wellenförmigem
Dorn und im Fußbereich waren zwei Keramikgefäße deponiert
worden.
Die Vielfalt der
metallenen Trachtelemente aus Gräbern kann mit Hilfe von Siedlungsfunden
erweitert werden, zu denen beispielsweise der einzigartige bronzene Brustschmuck
einer Dame der norischen Oberschicht, gefunden in der Stadt auf dem Magdalensberg
("Alt-Virunum"), zu rechnen ist (Abb. 7). Größere, reich verzierte
Flügel- und Doppelknopffibeln, mehrheitlich aus Bronze, weitaus seltener
in Silber oder Gold, sind in der Regel unter den Siedlungsfunden nicht
allzu häufig, da – auch bei Bronzeexemplaren – der Materialwert dieser
Objekte beträchtlich war und sie deswegen nach irreparabler Beschädigung
wenn möglich wieder eingeschmolzen wurden.
In den Provinzen
Noricum und Pannonien sind bildliche Darstellungen der Verstorbenen auf
Grabmonumenten, die wohl ursprünglich meist bunt bemalt waren, eine
willkommene Ergänzung, um mehr über die textilen Elemente der
Tracht und die Funktion der Metallbestandteile in Erfahrung zu bringen
(Abb. 2-3).
Die vielfach auch
künstlerisch sehr anspruchsvollen Darstellungen zeigen die Norikerinnen
in einem langärmeligen, bis an die Knöchel reichenden, manchmal
auf der Brustmitte mit einer kleinen Fibel verschlossenen Untergewand
aus einem offenbar dünneren Stoff. Darüber trugen sie ein festeres,
ärmelloses Obergewand, das an den Schultern durch je eine größere
Fibel verschlossen wurde. Um die Körpermitte hielt ein mit Zierbeschlägen
und einem Gehänge versehener Ledergürtel das Gewand zusammen.
Eine zusätzliche dekorative Wirkung erzielten Hals- und Armringe,
Halsketten und Fingerringe. Eine ältere norische Dame auf einem Grabmedaillon
in Lendorf bei Klagenfurt (Abb. 3) trägt als Besonderheit einen ausgefallenen
Brust- und Halsschmuck: die breite Halskette ist reich mit Miniaturgefäßen,
Zierscheiben und einem zentralen Lunula-Anhänger verziert. Das mehrgliedrige
Collier weist mehrere dekorierte Scheibenfibeln oder Zierscheiben sowie
Pendilien auf. In der norisch-pannonischen Frauentracht war auch eine
Kopfbedeckung üblich, angefangen von regional verschiedenen Haubenformen
bis hin zur für Virunum typischen Modiusmütze, einer zylindrischen,
nach oben sich verbreiternden Rundmünze aus Leder, Pelz oder Filz,
die wie bei der Dame aus Lendorf mit einem Schleier getragen wurde. Sehr
beliebt waren sogenannte norische Hauben, die aus einem viereckigen Tuch
bestanden, das diagonal zusammengeklappt und zusammengerollt und dann
mit beiden Enden am Hinterkopf fixiert wurde.
Im Gegensatz zu den
Frauen mit ihrer keltisch-norischen Landestracht repräsentierten
sich die Männer auf den Grabmonumenten häufiger in Toga gekleidet
als römische Bürger. Derartige für die Nachwelt geschaffene
Grabdenkmäler geben zwar einen guten Einblick in das statusbewußte
Selbstverständnis der römischen Oberschicht im 1. und 2. Jahrhundert
n. Chr., aber für die Rekonstruktion der Alltagstracht eines Großteils
der männlichen Bevölkerung bieten sie keine große Hilfestellung.
Auf den wenigen bildlichen Denkmälern ist ersichtlich, daß
die in einheimischer Tracht gekleideten Männer in der Regel ein tunica-artiges
Gewand und einen Umhang (sagum) trugen. Der ärmellose Umhang wurde
auf der rechten Schulter von einer Fibel – meistens war es eine Scheibenfibel
– zusammengehalten.
Einige Worte zur
Virunenser Regionaltracht
Im norisch-pannonischen
Raum ist es mittlerweile möglich, die von den Grabdenkmälern,
aus den Gräbern und Siedlungen bekannten Trachtbestandteile erstaunlich
gut chronologisch und geographisch zu differenzieren. In Noricum sind
es vor allem die Stadtterritorien von Virunum, Iuvavum und Flavia Solva,
für die sich ein typisches Trachtensemble zusammenstellen läßt.
Eine wichtige Rolle
spielen dabei die überwiegend in Bronze gegossenen Fibeln. Die Mehrzahl
der Doppelknopffibeln (Abb. 4,1; 8,2), benannt nach den beiden Verdickungen
auf dem Bügel, hatten einen rahmenartig durchbrochenen Fuß.
Bei früheren Exemplaren des 1. Jahrhunderts n. Chr. findet man meist
eine einfache Durchbruchszier in Form von siebartiger Lochung. Weit aufwendiger
dekoriert waren Flügelfibeln (Abb. 4,2), deren Name sich von zwei
kleinen "Flügeln" zu beiden Seiten des Bügelknopfs herleitet.
In besonders reicher Durchbruchsornamentik verzierte man den Fibelfuß,
der mit einer Kombination von Kreisen, Quadraten, Fischblasen und Winkel,
ferner zusätzlich mit aufgenieteten Rosetten versehen war. Mit Punktpunzen
und dem Gravierstichel wurden darüber hinaus gelegentlich der Bügel,
der Nadelhalter und der Fuß dekoriert. Vor allem größere
Flügelfibeln boten zwischen Bügel und Nadel genügend Platz,
um paarweise an der Schulter getragen auch den Stoff schwererer Gewänder
zu fassen (Abb. 1–2).
Von den bisher über
20 Varianten dieses Fibeltyps sind auch einige regionale Sonderformen
bekannt, die eine Länge von bis zu 21 cm erreichen können. So
kennen wir aus Virunum zum Beispiel eine 15,7 cm große, bronzene
Flügelfibel (Abb. 4,2), die sich eindeutig von den zur gleichen Zeit
ansonsten in Virunum üblicherweise getragenen Fibeln unterscheidet.
Die vier auf den Flügeln angenieteten Zierelemente dieses Fibeltyps
(Typ Almgren 238 f) sind in der Zeit um die Mitte des 1. Jahrhunderts
n. Chr. geradezu typisch für die Region um Iuvavum und das angrenzende
Rätien. Weil Flügelfibeln für bestimmte Regionaltrachten
kennzeichnend sind, ist es naheliegend, darin einen Nachweis einer aus
Nordwestnoricum oder dem nördlichen Rätien eingewanderten oder
durchreisenden Frau zu sehen. Somit stellen Fibeln eine erstrangige archäologische
Quelle für das Studium der Bevölkerungsmobilität und der
Bevölkerungszusammensetzung dar.
Eine Besonderheit
in den südlichen Landesteilen Noricums sind die sogenannten Einknotenfibeln
(Abb. 5). Diese Gewandschließen sind 4 – 9,5 cm groß und wurden
mehrheitlich in Bronze, selten auch in Silber hergestellt. Eine massive
rechteckige Stützplatte dient als Schutz für die achtfach gewundene
Spirale, aus der sich die Nadel entwickelt, mit der der Verschluß
der Fibel hergestellt wird. Einknotenfibeln besitzen wie die Mehrzahl
der Doppelknopf- und Flügelfibeln eine eingliedrige Spiralkonstruktion,
d. h. Spirale und Nadel wurden vom Handwerker beim Guß grob als
Fortsatz am Kopf der Fibel mitgegossen und danach von der Stützplatte
ausgehend in Feinarbeit ausgeschmiedet (vgl. Abb. 8). Der kräftig
gebogene Fibelkopf mit seinem halbrunden Querschnitt wird durch einen
scheibenförmigen Bügelknopf vom langen, gestreckten Fuß
getrennt. Der hohe, meist trapezförmige Nadelhalter ist zuweilen
vergleichbar den norisch-pannonischen Flügelfibeln durch ein kompliziertes
Durchbruchsornament (opus interrasile) aus blasen-, tropfen- und sternartigen
Motiven gegliedert und mit einem eingeritzten Wolfszahnmuster verziert.
In Unterkärnten
sowie im Murtal, beginnend vom Aichfeld bis ins Leibnitzer Feld, kamen
Einknotenfibeln immer wieder als Gewandverschluß zum Einsatz. Man
trug sie aber auch im Hinterland von Flavia Solva und in den angrenzenden
Stadtgebieten von Celeia und Poetovio, im heutigen Nordostslowenien. Im
gesamten Alpenbogen gehören sie damit zu jenen römischen Fibeln,
die in einem geographisch doch eng begrenzten Raum während des fortgeschrittenen
1. und früheren 2. Jahrhunderts n. Chr. getragen wurden.
Eine faszinierende
Gestalt besitzen ostalpine Tierkopffibeln (Abb. 4,3), die ebenfalls in
die Frühzeit Virunums gehören. Bei ihnen wächst der langgestreckte
Fibelfuß aus einem beißenden Tierkopf heraus. Als Allerweltsformen
könnte man kräftig profilierte Fibeln bezeichnen, die in großen
Mengen, mehrheitlich in Bronze, in unterschiedlichen Größen
und Varianten für den alltäglichen Gebrauch in zahlreichen Siedlungen
Noricums und auch außerhalb der Provinz produziert wurden. Das Formenspektrum
reicht von frühen Ausprägungen des 1. Jahrhunderts n. Chr. mit
mehrfach durchlochtem Nadelhalter (Abb. 4,4) bis zu Spätformen mit
massivem, erhöhtem Nadelhalter (Abb. 8,3). Zu den jüngsten kräftig
profilierten Fibeln zählen Exemplare mit hohem, oft stark gekrümmtem
Fibelkörper, welcher einen vier-, seltener fünffach profilierten
Bügelknopf und einen langgestreckten, häufig leicht geschwungenen
Fuß mit aufwärts geneigtem Endknopf besitzt (Abb. 8,1). Roh-
und Fehlgüsse deuten darauf hin, daß solche Fibeln zumindest
im ostnorischen Vicus von Gleisdorf und in Virunum produziert wurden.
.Im späteren
2. und im 3. Jahrhundert n. Chr. kamen stattdessen Kniefibeln in Mode,
deren Kopfplatte und Nadelhalter mit eingepunzten Kreisaugen und Wolfszahnmuster
verziert war (Abb. 4,5; 8,4).
In der norisch-pannonischen
Frauentracht von besonderem Interesse ist neben den Fibeln der überaus
üppige Gürtel, der sich anhand der bildlichen Darstellungen
(Abb. 2) und mit Hilfe von Original-stücken in Gräbern und Siedlungen
rekonstruieren läßt. Die kanonischen Metallbestandteile des
Ledergürtels umfaßten eine Schließe mit einem oder zwei
Endknöpfen, mehrere Beschläge mit Durchbruchsverzierung, die
sich von spätlatènezeitlichen Dekorsystemen ableitet, ferner
zwei Riemenzungen für das herabhängende Gürtelende sowie
mehrere sogenannte Entenbügel, kahn- und spindelförmige Riemenversteifungen
und Buckelnieten.
In der norischen
Grabplastik gibt es einige Beispiele wie die Norikerin auf dem Lendorfer
Porträtmedaillon (Abb. 3), die ihren reichen Brustschmuck zur Schau
stellte. Eine gute Vorstellung davon vermittelt ein Originalfund aus der
Stadt am Magdalensberg, der Vorgängersiedlung der späteren Provinzhauptstadt
Virunum (Abb. 7). Der Brustschmuck besteht aus mehreren bronzenen Gliederketten,
die mittels Fibeln verbunden und am Gewand befestigt waren. Es handelt
sich dabei einerseits um verzinnte bzw. versilberte Scheibenfibeln in
Rad- oder Rosettenform und andererseits um Hülsenscharnierfibeln
mit halbkreisförmig gebogenem Bügel (Aucissa-Fibeln). Auffällig
sind besonders letztere, da sie in der norischen Tracht keine allzu große
Akzeptanz besaßen, während erstaunlicherweise zeitgleiche,
in ihren Ursprüngen ostalpine Fibeltypen – wie die bereits erwähnten
kräftig profilierten Fibeln oder Tierkopffibeln – beim Magdalensberger
Brustschmuck keine Verwendung fanden.
Gerade die Bronzefibeln
an diesem Brustschmuck wären ein gutes Beispiel, um Fremdeinflüsse
in der norischen Tracht zu diskutieren, die besonders in der Provinzhauptstadt
am ehesten zu erwarten sind. Das Virunenser Fibelspektrum erweckt ansonsten
den überwiegenden Eindruck einer relativ geschlossenen, inneralpinen
Formenwelt. Deutliche Berührungspunkte bestehen zu den Tracht- und
Bekleidungssitten im Territorium von Flavia Solva, das aber nachweislich
mehr Anregungen aus dem pannonischen Raum erhielt. Das flavische Munizipium
Solva pflegte, wahrscheinlich schon aufgrund der geographischen Gegebenheiten,
weitaus engere Kontakte wirtschaftlicher Natur zu den Nachbarstädten
Poetovio und Savaria, während der Verwaltungsbezirk von Virunum,
das ehemalige Kernland des keltischen Regnum Noricum, einen von Gebirgsketten
abgeschlossenen Raum darstellte.
Fibelproduktion
in Virunum
In Virunum selbst
sind bisher keine Werkstätten, die Buntmetall verarbeiteten, ergraben
worden. Erklären läßt sich diese Situation mit der spezifischen
Forschungsgeschichte Virunums. Der Schwerpunkt der Grabungen beschränkte
sich im wesentlichen auf die zentralen Stadtbereiche, wie das Forum, das
Kapitol und den sogenannten "Bäderbezirk" sowie auf herausragende
Großbauten (Bühnentheater). Die Erforschung von Handwerkervierteln
wurde bisher vernachlässigt. Entsprechende Handwerksbetriebe mit
Einrichtungen zum Guß von Buntmetall – häufig oft nicht viel
mehr als Arbeitsnischen mit kleinen Schmelzöfen und Werkplätzen
für die Nachbearbeitung der Rohgüsse, wie sie vor allem vom
Magdalensberg, aber auch aus Teurnia bekannt sind, – wird man sicherlich
auch in Virunum voraussetzen können.
Schon die Untersuchungen
Fritz Pichlers in den Jahren 1881-1883 erbrachten den Nachweis von bronzeverarbeitenden
Werkstätten in Virunum, in denen Fibeln hergestellt worden sind.
Mehrere Rohgüsse wurden geborgen und gelangten in das Kärntner
Landesmuseum, ohne daß sich heute die genaue Fundstelle innerhalb
des Stadtgebiets von Virunum ermitteln ließe. Der Großteil
der vorhandenen Fibelfunde ist den Aktivitäten von Metallsondengängern
zuzuschreiben (Abb. 8): in Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt wurde
zwischen 1983 und 1990 der Versuch unternommen, am Südwestrand Virunums
auf einer Fläche von rund 6 ha die Einwirkungen der ortsüblichen
landwirtschaftlichen Nutzung auf die Bodendenkmäler festzustellen
und nachzuweisen. Dieses Unternehmen brachte sehr aufschlußreiche
Einblicke in die Zerstörungsvorgänge auf bewirtschafteten Kulturflächen
mit sich und führte klar vor Augen, daß ein dringender Handlungsbedarf
der Denkmalpflege gegeben ist. Im Rahmen des Projekts konnten viele Fundstellen
von Halbfabrikaten und Fehlgüssen dokumentiert werden, jedoch der
für eine weiterführende archäologische Interpretation der
Funde notwendige Befundkontext blieb dabei völlig außer Acht.
Gußnähte
an der Ober- und Unterseite von zahlreichen Roh- und Fehlgüssen lassen
den Schluß zu, daß in Virunum Fibeln vor allem in zweischaligen
Tonformen in einer Technik gegossen wurden, die Erich Hudeczek "Guß
in verlorener Form mit bleibendem Modell" genannt hat. Demnach wurde das
wohl meist aus Blei bestehende Modell bis zur Hälfte in eine sandige
Lehmmasse eingedrückt und nach kurzem Antrocknen die zweite Formhälfte
darübergestrichen. Nachdem das Modell herausgelöst worden war,
setzte man die beiden Formhälften wieder zusammen, verstrich die
Seitennaht und schnitt, falls das Modell mit keinem Eingußzapfen
versehen war, noch eine Eingußöffnung in die Form.
Entsprechende Tongußformen,
die in Ovilava, Teurnia und besonders in Flavia Solva und am Magdalensberg
zahlreich zutage getreten sind, fehlen in Virunum. Ausschlaggebend dafür
ist vermutlich die Tatsache, daß bei von Laien durchgeführten
"Oberflächenbegehungen" sich das Interesse in der Regel auf Metallfunde
konzentriert, während zerbrochene, unscheinbare Tonmodel meist nicht
als solche erkannt werden und deswegen keine Beachtung finden.
Die Gußmodelle
sind im Gegensatz zu den Roh- und Fehlgüssen mit ihrer rauh belassenen
Oberfläche geglättet und manchmal sogar poliert. An der Stelle,
wo der Einguß in die Tonform erfolgen sollte, besitzen einige Modelle
einen ebenfalls geglätteten Zapfen. Bei den kräftig profilierten
Fibeln befindet sich der Gußzapfen immer am Kopf der Fibel, bei
Kniefibeln hingegen kann es zuweilen vorkommen, daß der Einguß
vom fußseitigen Ende der Fibel vorgenommen wurde.
Obwohl Hinweise auf
Fibelherstellung zahlenmäßig bei weitem überwiegen, gibt
es hin und wieder Gußabfälle die auf einen doch weiter gestreuten
Produktionsumfang der Virunenser Gelbgießer hindeutet: darunter
finden sich Hausrat, Teile vom Pferdegeschirr und nicht zuletzt eine Vielfalt
an norischem Trachtzubehör. In diesen Zusammenhang gehört beispielsweise
der Fehlguß einer Gürtelschließe mit zwei in Tierkopfform
stilisierten Haken (Abb. 8,5). Die Produktion der Bronzegießer scheint
also ganz auf den lokalen Bedarf hin ausgerichtet gewesen zu sein.
Während Gußabfälle
ein eindeutiges Indiz für Fibelproduktion darstellen, kann über
die Konzentration charakteristischer Fibelformen in einem Gebiet zumindest
eine Herstellung auf regionaler Ebene wahrscheinlich gemacht werden. Innerhalb
des eng umrissenen Vorkommens der Einknotenfibeln im südlichen Noricum
ist eine Gruppe von Fibeln gesondert hervorzuheben, die weitgehende Übereinstimmungen
in der Verzierung des Fibelkopfs und der Stützplatte, des Fußquerschnitts
und der Verzierung des Nadelhalters aufweisen (Abb. 5). Besonders auffällig
sind tiefe Kreisaugen auf der Stützplatte oder sogar auf dem in Dreiecksform
abgeflachten Fibelkopf. Neben einem Altfund aus Feldkirchen findet man
diese Kennzeichen bei zwei weiteren Vertretern aus Kärnten sowie
bei zwei Exemplaren aus der Weststeiermark und einem Stück aus Colatio
(Stari trg bei Slovenj gradec). Diese Fibelgruppe scheint sich somit auf
das Stadtterritorium von Flavia Solva und in erster Linie auf den Verwaltungsbezirk
von Virunum zu konzentrieren (Abb. 5). Gerade bei solchen diffizilen Verzierungsdetails,
die jeweils am Fibelkopf bzw. auf der Stützplatte, angebracht wurden,
kann man werkstattspezifische Eigenheiten erkennen, in denen sich die
Handschrift eines Handwerkes am ehesten widerspiegelt. Deshalb wird man
in diesem Fall wohl weniger von einer besonderen Abwandlung einer Regionaltracht
sprechen können, sondern an die nahezu uniforme Produktpalette einer
Werkstätte denken. Unter Umständen vorstellbar wäre auch,
daß mehrere voneinander abhängige Hersteller tätig waren,
die auf dieselben Vorbilder (Gußmodelle) zurückgriffen oder
die Produkte des anderen kopierten und ihre eigenen Erzeugnisse im unmittelbaren
Umland abgesetzt haben.
In Flavia Solva ist
die Herstellung von Einknotenfibeln mit einem Roh- oder Fehlguß
gesichert, in Virunum steht der Nachweis dafür noch aus. Doch wäre
es keineswegs überraschend, wenn künftig auch eine buntmetallverarbeitende
Werkstätte in der norischen Provinzhauptstadt entdeckt würde,
die diese für Südnoricum charakteristischen Fibeln herstellte.
Literatur in Auswahl
J. Garbsch, Die norisch-pannonische
Tracht. ANRW II 12.3 (Berlin/New York 1985) 546 ff.
J. Garbsch, Römischer Gewandschmuck in Bayern. In: Römischer
Alltag in Bayern. Das Leben vor 2000 Jahren. Festschr. 125 Jahre Bayerische
Handelsbank in München 1869-1994 (München 1994) 238 ff., bes.
250 f.
Ch. Gugl, Die römischen Fibeln aus Virunum (Klagenfurt 1995).
H. Heymans, Die Fibeln aus dem römerzeitlichen Vicus von Kalsdorf
bei Graz. Fundberichte aus Österreich 36, 1997 (Wien 1998) 325 ff.
S. Ladstätter, Norische Tracht. In: F. Glaser (Hrsg.), Kelten – Römer
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G. Piccottini, Ein norischer Brustschmuck vom Magdalensberg in Kärnten.
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H. Sedlmayer, Die römischen Fibeln von Wels. Quellen u. Darstellungen
zur Geschichte von Wels 4 (Wels 1995) 93 ff.
Abbildungsnachweis
Abb. 1 Alba Regia
1, 1960, 46 Abb. 4.
Abb. 2/3/7 U. P. Schwarz (Klagenfurt)
Abb. 4 Ch. Gugl (Klagenfurt)
Abb. 5-6 Kartengrundlage "Arbeitskarte Österreich" (Verlag FREYTAG-BERNDT
und ARTARIA, Wien)
Abb. 8 M. Fuchs/O. Kladnik, FÖ 31, 1992 (1993) Abb. 3,1.11.14.17.21.
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