Gründung und Stadtplan des Municipium Claudium Virunum

Die Gründe, die zur Absiedlung dieser blühenden Bergstadt und somit zur Gründung der Nachfolgesiedlung im Zollfeld führten, liegen noch im Dunkeln. Sehr wahrscheinlich ist, daß das okkupierte Königreich der Noriker um 45 n. Chr. den Status einer römischen Provinz erhalten hat und mit den Augen Roms gesehen nun nicht mehr als besetztes Gebiet, sondern als befriedeter, stabiler Bestandteil des Römischen Reiches (Imperium Romanum) galt. Einem allgemeinen Trend zu Stadtgründungen in Tallagen gehorchend, wohl aber auch einer Machtdemonstration Roms gleichkommend, wird das in seiner Infrastruktur (Wassermangel, Transport etc.) nur noch beschränkt ausbaufähige Verwaltungszentrum Noricums auf dem Magdalensberg durch den Bau der autonomen und unbefestigten Provinzhauptstadt "Municipium Claudium Virunum" abgelöst.

Rund 130 Jahre lang war sie nun der Amtssitz der ritterlicher Provinzstatthalter (procuratores) Noricums, für ein Gebiet also, das grob umrissen vom Inn bis an den Wienerwald und vom Chiemsee bis nach Nordslowenien reichte. Die Provinzverwaltung wurde dann jedoch im Zusammenhang mit den Markomannenkriegen (um 170 n. Chr.) nach Ovilava (Wels) verlagert und blieb dort bis schließlich die Provinz Noricum unter Kaiser Diokletian gegen Ende des 3. Jhs. n. Chr. geteilt wurde. Das von der neuen, alten Hauptstadt aus durch einen praeses (Stadthalter) verwaltete Gebiet hieß nunmehr Noricum mediterraneum (Binnennoricum) und war in seiner Ausdehnung im wesentlichen auf die inneralpinen Bereiche (Osttirol, Kärnten, Steiermark und Teile Nordsloweniens) geschrumpft.

Luftbilder, auf denen sich die unterirdischen Mauerzüge in der Höhe des Getreidestandes mehr oder weniger deutlich abzeichnen, veranschaulichen, daß sich das enger verbaute Stadtgebiet von Virunum auf etwa 1 kmē Fläche ausdehnte. Das der städtischen Verwaltung von Virunum direkt unterstellte Territorium hingegen, sozusagen der Bezirk Virunum/Land, war mit einer Fläche von etwa 9000 kmē weit größer und umfaßte Mittel- und Ostkärnten sowie Teile der Steiermark.

Für Stadtgründungen gab es im Imperium Romanum durchaus allgemein gültige religiöse, legistische und stadtplanerische Vorschriften, die sicher auch bei der Gründung Neu-Virunums am Zollfeld strikt eingehalten wurden. Römische Provinzhauptstädte sind in ihrem Aufbau und ihrer Verwaltung als "kleine Abbilder der Hauptstadt Rom" aufzufassen. Mit anderen Worten bedeutet dies, daß alle öffentlichen Bauten und Einrichtungen ihre Entsprechungen in Rom hatten.

Dem Bauvorhaben der Stadtgründung ging, zumal es sich im Falle Virunums um die zukünftige "Provinzhauptstadt" handeln sollte, ein kaiserlicher Auftrag dazu voraus. Zu diesem Zweck wurden in der Regel von den Kaisern Stadtrechtsurkunden (lex municipalis) ausgefertigt, die nicht nur den Status und das Territorium festlegten, sondern auch genaue rechtliche Bestimmungen für die Verwaltung und die Kompetenzen der autonomen Stadt und ihrer Beamten enthielten.

Das Areal der zu errichtenden Stadt, im Falle Virunums auf einer Schotterterrasse östlich der Glan gelegen, die sich in den sanften Hang des Töltschacher Berges fortsetzte, mußte nach der Einholung von Vorzeichen (omina), zunächst durch die Priesterschaft bestätigt werden. Im Museum in Aquileia befindet sich ein Relieffries, der uns den rituellen Stadtgründungsakt jener Bürgerkolonie vor Augen führt. Das Stadtgebiet wird im Beisein von höchsten Senatsmitgliedern und Priestern mit einem rinderbespannten Pflug umfahren. Innerhalb des durch diese "erste Furche" (sulcus primigenuus) umrissenen Areals konnten nachfolgend erst Vermessungsingenieure (gromatici) das rechtwinklige Straßenssystem und die Bauplätze für das Stadtzentrum, andere öffentliche Bauten und die Wohnquartiere (insulae) festlegen.

Im Gegensatz zu ihrer Vorgängersiedlung auf dem Magdalensberg, deren kontinuierliches Wachstum von einem oberitalischen Handelskontor zum kaiserlichen Verwaltungszentrum des okkupierten Königreiches der Noriker in erster Linie durch die schwierigen Geländegegebenheiten vorherbestimmt war, ist das Municipium Claudium Virunum eine für das Imperium Romanum typische Rasterstadt, eine römische Normstadt gewissermaßen, die aufgrund eines kaiserlichen Entscheides in kürzester Zeit aus dem Boden gestampft wurde (siehe den Stadtprospekt im Katalogteil Abb. 2).

Ihre Hauptachse bestand aus einem breiten, in Nord-Süd-Richtung auf das Stadtzentrum zuführenden Straßenzug, den man als Decumanus Maximus bezeichnet. Der Cardo Maximus, der zweitwichtigste Straßenzug, steht rechtwinklig auf den Decumanus Maximus und führt ebenfalls zum Forum (siehe den Stadtplan im Katalogteil Abb. 1). Die beiden genannten Straßenzüge bilden somit das Achsenkreuz, welches durch den Bau von parallel zu den Hauptachsen verlaufenden Nebenstraßen die Stadt wie ein Koordinatensystem parzellierte. Unregelmäßigkeiten traten einerseits dort auf, wo die Anlage der Straßen auf Großbaukomplexe (wie z. B. das Forum) Rücksicht nahm, andererseits aber bei erst später hinzugekommenen Straßenzügen, die den Vorstadtbereich in das urbane Netz eingliederten.

Grabungen und die Auswertung von Luftbildern vermitteln uns ein recht anschauliches Bild dieser 10-15 m breiten Straßen. Die durchschnittlich 6 m breite Fahrbahn der Hauptstraßen verfügte über ein Pflaster aus Rollsteinen (Katzenkopfpflaster), in dem sich noch deutlich Gleismulden (Spurrinnen) abzeichnen. Beiderseitig der Fahrbahn lagen oftmals erhöhte Bankette, die als Gehsteige dienten. Unter den Straßenkörpern der West-Ost-gerichteten, leicht abschüssigen Straßen (cardines) befanden sich die Abwasserkanäle, in die zahlreiche kleinere Kanäle aus den Wohnquartieren einmündeten.

Bei archäologischen Untersuchungen im Vorfeld des zweigleisigen Ausbaus der Südbahnstrecke gelang es dem Bundesdenkmalamt, zwei derartige Hauptkanäle aufzudecken. Diese am Töltschacher Hang beginnenden, zur Glan hin entwässernden und in ihrer gesamten Länge einst begeh- und räumbaren Kloaken waren 0,9 m breit, seitlich durch 1,6 m hohe Bruchsteinmauern begrenzt und nach oben hin durch ein Gewölbe geschlossen. Die Kanalsohle bestand aus großen Schieferplatten. In den Hauptkanälen Virunums werden wir letzlich auch jene "Geheimgänge" erkennen dürfen, die in der Überlieferung vom Schloß Töltschach aus das Zollfeld querten.

Verglichen mit den Haupt- und Durchzugsstraßen der Stadt ähneln die Nebenstraßen am ehesten heutigen Feldwegen. Die gewölbten Fahrbahnen waren nur mit einem schlichten, oftmals ausgebesserten Schotterbelag versehen. Daran schlossen zu beiden Seiten ungeschotterte Gehstreifen an, welche an den Umfassungsmauern der Wohnquartiere endeten und hier meist in offene Sickerrinnen übergingen.