8. Zu Umfahrungsstraßen, den Gräbern und einem kleinen Grabmedaillon Neben dem rechteckigen Straßensystem, das gemeinsam mit den öffentlichen Großbauten am Töltschacher Hang die Stadtansicht entscheidend prägte (siehe Katalog Nr. 1-5), gilt es noch auf das übergeordnete Straßensystem näher einzugehen. Die norische Hauptstraße, die von der adriatischen Hafenstadt Aquileia zur Donau führte, verläuft auf einem Straßendamm zwischen dem dichtbesiedelten Stadtgebiet und der sich damals noch frei dahinschlängelnden Glan. In dieser Fernstraße, die sich mit der heutigen Bundesstraße und dem Gleiskörper der ÖBB deckt, können wir die wichtigste Verkehrsachse ganz Noricums und gewissermaßen auch die Umfahrungsstraße oder Westtangente Virunums sehen. Neben einer Ausweichsmöglichkeit für den Schwerverkehr hatte sie gleichzeitig die Funktion eines Hochwasserschutzdammes zur Glan inne. Die wichtigste innerstädtische Straße, der auf das Stadtzentrum mit Forum und Kapitol zuführende Decumanus Maximus, traf etwa bei der Lindwurmgrube auf diese norische Hauptstraße. Die Stadt Virunum verfügte auch über eine wichtige Südtangente, die etwa beim Herzogstuhl von der norischen Hauptstraße nach Norden abbog, bei Arndorf auf den Decumanus Maxiums traf (s. o. Fundstelle des Göttersteines) und weiter nach Celeia/Celje führte. Sowohl die außerhalb des bebauten Stadtgebietes gelegenen Teile des Decumanus Maximus, als auch die norische Hauptstraße waren zu beiden Seiten von teilweise bis zu 12 m hohen, von Mauern eingefriedeten Grabbauten umgeben. Die Inschriften auf den Grabdenkmälern verkündeten jedem die Straße Entlangziehenden die Namen sowie verschiedentlich auch den Werdegang und das Alter der hier Bestatteten. Da die Mehrzahl dieser Grabbauten noch zu Lebzeiten errichtet wurde, kommt in den Ornamenten, den mythologischen Darstellungen, vor allem aber im gewählten Grabbautyp für die "letzten Monumente" auch die soziale Stellung der Grabeigner und ihrer Nachkommenschaft zum Ausdruck. Die Palette der repräsentativen Grabanlagen der Ober- und gehobenen Mittelschicht bestand aus Grabtempeln, turmartigen Pfeilergräbern und hochaufragenden Grabaltären, die mit z. T. höchst qualitätsvollen Marmorreliefs verkleidet waren. Hierauf sind vor allem Legenden der griechisch-römischen Mythologie, Personifikationen von Jahreszeiten, Heroen, trauerndes Personal (Diener und Dienerinnen, Schreiber, Sekretäre, Waffenträger, Reitknechte u. a. m.), Totenmahldarstellungen und Pflanzenornamente abgebildet worden. In den weitläufigen Grabgärten, die diese prunkvollen Gräber umgaben, wurden auch die "zur Familie" gehörigen Sklaven und Freigelassenen bestattet. Erfolgte die übliche Leichenbrandbestattung der Familienmitglieder im Grabbau selbst, so wurden die sterblichen Überreste der dienstbaren Geister zumeist nur in bescheidenen Grabschächten oder schlichten Körpergräbern im Grab-bezirk beigesetzt. So überhaupt vorhanden, war ihrem Andenken oft nur ein einfacher Grabstein (titulus) zugedacht (vgl. Katalog Nr. 50.1), der ihren Rufnamen verewigte und sie als Sklaven ihrer Herrn auswies. Auf den Grabdenkmälern durften auch die Abbildungen der Grabeigentümer und der engsten Familienangehörigen nicht fehlen. Ebenfalls abhängig von der sozialen Stellung der Person, die das Grabmal setzen ließ, fielen die Porträts mehr oder weniger aufwendig aus. Wir unterscheiden hier Sitzstatuen, feingearbeitete Rundmedaillons oder Nischenporträtgrabsteine. Beim zweigleisigen Ausbau der Südbahnstrecke konnte vom Bundesdenkmalamt ein von einem Grabdenkmal an der norischen Hauptstraße stammendes Grabmedaillon geborgen werden, das durch das Portrait eines Jugendlichen besticht, und auf welches exemplarisch näher eingegangen werden soll (Abb. Katalog Nr.54) Dieses im Durchmesser nur 44,5 cm große Grabmedaillon zählt zu den kleinsten seiner Gattung und ist aus feinkörnigem, weißem, einheimischem Marmor gefertigt. Die ausgebrochene Unterseite läßt noch deutlich zwei quaderförmige Ausnehmungen und in einer derselben sogar noch die Reste eines bleivergossenen Eisenstiftes erkennen; die Rückseite ist schalenförmig gerundet und geglättet. Solche freistehenden Rundmedaillons waren mit Grabdenkmälern (zumeist Grabaltären) verdübelt und überragten diese als scheibenförmige Aufsätze. Am oberen Abschluß des Medaillons befinden sich noch drei weitere rechteckige Ausnehmungen, die zur Verankerung einer Bekrönung (z. B. giebelartiger Aufsatz) oder aber zur Befestigung von Grabschmuck (z. B. Blumengirlanden etc.) bei den jährlichen Gedenkfeiern für den Toten gedient haben konnten. Gerahmt von einem Astragalband (Perlenschnur) und einem ionischen Kyma (Blattornament) gibt die Schauseite das tiefliegende, frontale Schulterbildnis eines etwa 10-15 jährigen Knaben wieder. Er ist mit einer Tunika bekleidet, die, verglichen mit dem Porträt, in nur geringer plastischer Tiefe ausgearbeitet ist, jedoch noch rote Farbspuren an der Tunikaborte zeigt. Besonders deutlich zu erkennen sind sein glattes, in die Stirn gekämmtes Haar und die leicht abstehenden Ohren, beides Stilmerkmale, die eine Datierung dieser guten Arbeit um die Mitte, sicher aber noch in die 2. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. nahelegen (vgl. CSIR II, 2 (1972), 123, 125, 132; CSIR II, 5 (1994), 635 u. 636). Gerade die frühe Datierung dieses kleinen Grabmedaillons von der norischen Hauptstraße, verdient hier besondere Erwähnung, handelt es sich dabei doch um eines der ältesten Porträts eines Bewohners von Virunum, dessen wir bisher habhaft sind, und dessen ursprüngliche Aufstellung an der Gräberstraße von Virunum durch seinen Fundort erwiesen ist. Auch nach der Aufgabe der nicht ummauerten Stadt Virunum in den Wirren der Völkerwanderungszeit und nach dem Umzug ihrer Bevölkerung in die umliegenden Höhensiedlungen, wird man auf die in den Nekropolen beiderseitig der befahrenen Straßen bestatteten Familienangehörigen nicht gänzlich vergessen haben. Bei den Ausgrabungen am westlichen Stadtrand - nur rund 120 m östlich der Gräberstraße - konnten sogar Hinweise zutage gefördert werden, daß in den schon verfallenen Gebäuden der verödeten Provinzhauptstadt Begräbnisse stattgefunden haben und Virunum somit selbst zur Totenstadt wurde.
Bibliographie M. Fuchs, Virunum.
ArchAA 3 (Klagenfurt 1997). Die Virunenser Steindenkmäler wurden von G. Piccottini in den CSIR Österreich - Bänden II/1-5 bearbeitet und in ihrer Gesamtheit vorgelegt. H. Vetters, Virunum. In: ANRW II, 6, 302 ff. (Berlin-New York 1972). Abbildungsnachweis Abb. 1 Detail
aus: G. Dobesch, Zu Virunum als Namen der Stadt auf dem
Magdalensberg und zu einer Sage der kontinentalen Kelten. Car.
I 187, 1997, Abb. 2. Abb. 1 Darstellung
eines "eberstemmenden Mannes" auf dem Kessel von Gundestrup
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